Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/05

Dr. Christoph Heesen

Stressregulationssysteme bei
Multipler Sklerose *

Einleitung

Dass Stress krank macht, ist kulturelles Wissen seit mehr als 2000 Jahren. Das wissenschaftliche Bemühen, die Komplexität und Interdependenz dieser Zusammenhänge zu charakterisieren, scheidet bis heute die Geister. So ist die Psychoneuroimmunologie (PNI), die sich diesem Feld widmet, noch nicht allgemeinwissenschaftlich anerkannt. Dies insbesondere trotz - oder möglicherweise gerade wegen - des Potenzials, mit ihren Methoden den immer noch dominierenden Leib-Seele-Dualismus in breiten Teilen der medizinischen Forschung zu überwinden.
Seit der ersten Beschreibung des Konzeptes der Autoimmunität findet mit wechselnder Intensität eine mehr oder weniger wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Suche nach psychologischen Einflussfaktoren auf derartige Erkrankungen statt.

Schon bei der Erstbeschreibung der Multiplen Sklerose (MS) durch Charcot wurde psychologischen Faktoren eine große Bedeutung für die Entwicklung und den Verlauf der Erkrankung zugeschrieben. Noch bis vor kurzem war die klinisch-epidemiologische Evidenz hierzu widersprüchlich. So kommt die amerikanische neurologische Akademie 1999 in einer nicht systematischen Metaanalyse zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen psychischem Stress und Manifestation und Verlauf der MS bis heute weder als bewiesen noch als widerlegt gelten kann. Als Schlüsselprobleme in der Erforschung der Zusammenhänge von Stress und MS werden genannt: das Fehlen eines klaren biologischen Modells, der Mangel einer einheitlichen Stressdefinition und Messmethodik, die Fehlbewertung von Stress durch retrospektive Studien, die Inkonsistenz der erhobenen Befunde und vor allem der Mangel überzeugender prospektiver Daten. Diese Datenlage wurde durch eine im September 2003 im British Medical Journal publizierte prospektive Untersuchung mit Belegen für eine Triggerung von MS-Schüben durch psychische Belastung verbessert.

Die in dieser Arbeit dargestellten Untersuchungen gehen von dem klinischen Eindruck aus, dass Manifestation und Verlauf der MS durch psychische Faktoren und eine veränderte Stressregulation mitbestimmt werden. Dabei ist zu klären, ob diese Störungen für die Erkrankung prädisponierende Faktoren darstellen oder sekundär den Prozess der Erkrankung verstärkende Mechanismen darstellen. Vordringliches Ziel unserer Arbeiten war es, zunächst Methodiken zur Untersuchung der Stressregulation bei MS zu etablieren. Die dann durchgeführten Untersuchungen zielten darauf ab, bisherige Modellvorstellungen zu verfeinern.

Fragestellungen und Hypothesen

Aus den in der Einleitung angeführten Befunden (in dieser Kurzfassung nicht dargestellt, d. Red.) geht hervor, dass eine intakte endokrine Antwort notwendig ist, um nach Stressreizen, seien es psychische, infektiäs-entzündliche oder traumatische, die Homöostase des Organismus auf einem anderen Niveau wiederherzustellen. Die Hypothese einer gestörten Stressregulation bei der MS stützt sich bislang vor allem auf tierexperimentelle Befunde im Modell der EAE (Experimentell Autoimmune Enzephalomyelitis). Hier fehlten bislang weitgehende Befunde zur Stressregulation bei MS-Patienten. Insofern wurden verschiedene Untersuchungen mit stressexperimentellen Belastungen und pharmakologischen Funktionstests durchgeführt.


1. Findet sich bei MS-Patienten im Gegensatz zu Gesunden eine veränderte vegetative, endokrine oder immunologische Reaktivität auf verschiedene kurzfristige Stressoren?
- auf eine psychische Belastung
- auf eine kognitive Belastung
- auf eine körperliche Belastung
Da Voruntersuchungen eher einen positiven Effekt körperlicher Belastungen im Rahmen eines Fitnesstrainings gezeigt haben, wurde ferner der Frage nach Mediatoren dieser Effekte nachgegangen und verschiedene Neurotrophine untersucht:
Im Rahmen der körperlichen Belastung sollte ferner der Frage nachgegangen werden, ob ein Training möglicherweise zu einer Veränderung der Stressreaktivität führt:
Als mögliche Moderatorvariablen, welche die Reaktivität mit beeinflussen, wurden untersucht:
– Verlaufsform der MS
– Krankheitsdauer
– Behinderungsgrad in verschiedenen Dimensionen
– Depressivität
– Vorliegen eines Fatigue Syndroms
– Effekte der MS-Immuntherapien

HYPOTHESEN:
MS Patienten zeigen eine veränderte endokrine und immune Reaktivität auf eine akute Stressbelastung. Ausgehend von den epidemiologischen Befunden zu belastungsassoziierten Verschlechterungen wird eine eher proinflammatorische (T - Helfer Typ - 1 Immunreaktion) immun-endokrine Dysregulation auf psychische Stressoren postuliert. Vor dem Hintergrund der positiven Effekte eines Fitnesstrainings wird ein eher antiinflammatorischer, neuroprotektiver Effekt desselben vermutet. Nervenwachstumsfaktoren könnten ein Vermittler dieser Funktion sein und sollten damit unter körperlicher Belastung vermehrt nachweisbar sein



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