FORUM PSYCHOSOMATIKZeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 22. Jahrgang, 1. Halbjahr 2012 |
In FORUM PSYCHOSOMATIK veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen die Erfahrungsberichte von Frauen und Männern, die mit der Diagnose MS leben. Darin wird oft unter anderem ein persönlicher Erfolg im Umgang mit der Erkrankung dargestellt. Die Redaktion legt Wert auf die Feststellung, dass dies keine allgemeine Empfehlung für eine bestimmte Form oder Richtung einer Therapie darstellt (d. Red.).
Seit einigen Jahren lese ich* mit großem Interesse „Forum Psychosomatik“. Als MS-Betroffener freue ich mich, dass es hier eine Publikation gibt, die sich regelmäßig und fachlich fundiert mit den psychosomatischen Zusammenhängen der MS auseinander setzt. Die meisten Beiträge werden von medizinischen Fachleuten geschrieben, die verständlicherweise wissenschaftlichen Ansprüchen genügen wollen (und müssen). Zum Glück sind die Artikel in der Regel dennoch so geschrieben, dass sie auch für medizinische Laien verständlich sind. Für die Betroffenen ist es von großem Wert, wenn sich Ärzte und Professoren den psychosomatischen Aspekten der MS widmen. Daher habe ich mich sehr über die interessanten Artikel der Professoren Urich Schwantes (über das Narrative in der hausärztlichen Medizin), Hartmut Schröder (über Kommunikation in der Medizin und einen neuen Master-Studiengang für komplementäre Medizin und Heilkunde an der Viadrina) sowie Dieter Janz (über seine Studienerfahrungen bei Viktor von Weizsäcker) in der Ausgabe 1 – 2008 gefreut. Gleichwohl würde ich es begrüßen, wenn – ganz im Sinne des „Empowerment“ – mehr Betroffene zu Wort kämen und ein intensiverer Dialog zwischen Betroffenen und Fachleuten in Gang kommen würde.
Daher war es für mich eine erfrischende Abwechslung, den recht ausführlichen Erfahrungsbericht von Frau Praetorius in der Ausgabe 1 – 2008 zu lesen. Insbesondere ihre zahlreichen Verweise auf die unterstützende Wirkung verschiedener (psycho-) therapeutischer Verfahren – von Einzeltherapie über Gruppentherapie (Psycho- Drama) und psychosomatische Kuraufenthalte bis zur Gestalttherapie – sowie die entspannenden und heilsamen Effekte künstlerischmusischer Aktivitäten (Theater spielen, Tanzen, Klavier spielen) waren sehr beeindruckend. Auch die Schilderung der Unterstützung durch ihren Arbeitgeber und Schwerbehindertenvertreter ihres Betriebs sowie die mit Hilfe einer Teil-Rente fortgesetzte Berufstätigkeit sind ermutigende Beispiele für andere Betroffene.
Im Laufe der Jahre bin ich mit den meisten der MS-typischen Symptome konfrontiert worden: von der initialen Sehnervenentzündung über Kribbelparästhesien und Missempfindungen in den Fingerspitzen und Fußsohlen (die mich seit nunmehr fast 25 Jahren begleiten), Gang- und Gleichgewichtsstörungen (meine Gehstrecke mit Unterarmgehstützen beträgt jetzt noch 50 bis maximal 100 Meter), Blasen- und Mastdarmstörungen (Harn- und Stuhlinkontinenz, chronische Obstipation), sexuelle Funktionsstörungen (erektile Dysfunktion, Libidoverlust), vorschnelle Erschöpfung und Ermüdbarkeit / Fatigue- Syndrom, Überempfindlichkeit gegen Hitze (Uhthoff-Phänomen), bis zu psychischen Verstimmungen (wen wundert es, wenn man bei dieser Liste von Symptomen manchmal „schlecht drauf“ ist?).
Selbstverständlich habe ich die meisten der schulmedizinischen Diagnose- und Therapieverfahren über mich ergehen lassen: von EEG, AEP, SEP und VEP über rund ein Dutzend Kernspin- bzw. Magnetresonanztomografien bis zur Lumbalpunktion.
Die „schulmedizinische“ Medikation reichte – neben der symptomatischen Behandlung mit z.B. Detrusitol, Movicol und Lecicarbon- Zäpfchen zur Linderung der Blasen- und Darmprobleme – von mehrwöchigen Cortison-Therapien in Tablettenform (80 mg Urbason, langsam ausschleichend), über Cortison-„Stoßtherapie“ (4 Tage à jeweils 1.000 mg), bis zu knapp drei Jahren Therapie mit Rebif (Interferon-beta 1a) von 2002 bis 2005 sowie einen „Therapieversuch“ mit Copaxone (Glatirameracetat) von 2008 bis 2010. Die zuletzt genannten Medikationen mit nur mäßigem Erfolg und heftigen Nebenwirkungen, die zu einem Abbruch dieser Therapien führten.
Auch ich habe daher in den vielen Jahren, in denen ich mit MS lebe, im Wissen um die Grenzen der Schulmedizin zahlreiche alternative und komplementäre Therapieversuche unternommen und von einigen auch deutlich profitiert: von Reiki (I. und II. Grad), über Amalgamentfernung und -ausleitung, (Einzel- und Gruppen-) Gestalttherapie, Homöopathie, Akupunktur, Feldenkrais, Cranio-Sakral-Therapie, diverse Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, Spurenelemente, Algen, bis zu Schlangengiften („Horvi“ – dies löste bei mir aber leider im Jahr 2002 den letzten, sehr heftigen Schub aus!). Seit neun Jahren praktiziere ich „Zellklarheit“ nach und mit Beatrice Gündüz (www.zellklarheit.de). Dies ist für mich zurzeit der erfolgversprechendste Weg, meine MS anzunehmen, in Frieden mit ihr zu leben und mich hoffentlich eines Tages ganz von ihr verabschieden zu können.
Auch bei der Entstehung „meiner“ MS liegen multifaktorielle Einflüsse vor: ein Großonkel mit MS (genetische Disposition), Pfeiffer’sches Drüsenfieber (Epstein- Barr-Virus!) im Alter von fünf, eine virale Meningoenzephalitis (Gehirnhautentzündung) im Alter von neun und eine rezidivierende Nebenhodenentzündung im Alter von 16 Jahren, Ernährungsfehler (Umwelteinflüsse), etc. Aufgrund der Reflexion meiner eigenen Krankengeschichte im Rahmen einer fast zweijährigen, sehr intensiven, so genannten „erweiterten“ Gestalttherapie und vor allem während der jetzt mehr als neunjährigen Praxis von Zellklarheit bin ich aber der festen Überzeugung, dass psychische Ursachen – und nicht nur „Auslöser“ – bei der Entstehung der MS ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt haben: Das erste Symptom im Sinne einer rechtsseitigen Retrobulbärneuritis (Sehnervenentzündung) trat bei mir 1981 im Alter von 19 Jahren auf – zwei Monate nach meinen schriftlichen Abiturprüfungen und vier Monate nachdem meine damalige Freundin entführt und vergewaltigt wurde! Nach zwei Wochen stationärem Aufenthalt im Universitäts- Krankenhaus Hamburg-Eppendorf wurde ich als „geheilt“ entlassen. Eine Focus-Suche in der Inneren Medizin, Neurologie und Urologie hatte keine Ergebnisse erbracht. Von MS war – zum Glück – keine Rede. So konnte ich in den folgenden Jahren unbeschwert mein Studium absolvieren, Sport treiben und mein Leben genießen.
Erst fünf Jahre später traten 1986 während meines Studiums in London erste Kribbelparästhesien in den Fingerspitzen und Fußsohlen auf – nach einem Streit mit meinem damaligen Mitbewohner und dem misslungenen Versuch, mich endgültig aus den familiären Bindungen meiner Herkunftsfamilie zu befreien! Auch nach umfangreichen Untersuchungen im National Hospital for Nervous Diseases am Queen Square in London wurde mir keine Diagnose mitgeteilt. Nach einem beschwerdefreien Intervall stellten sich nach weiteren sieben Jahren 1993 die ersten Gangstörungen ein, ca. drei Monate nach meiner – nicht ganz in meinem Sinne verlaufenen – Eheschließung! Der Wechsel vom schubförmigen in einen sekundär chronisch-progredienten Verlauf der MS erfolgte bei mir nach weiteren vier Jahren 1997 – nach einer außerehelichen Beziehung meinerseits, die meine damalige Ehefrau vehement (und erfolgreich) bekämpfte. Ich denke, dies sind genügend Belege für die psychischen Ursachen der jeweiligen Verschlechterungen.
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