FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 2. Halbjahr 2010




Die MS-Erkrankung brach Anfang 1999 aus, kurz nachdem für mich ein neuer beruflicher Abschnitt begonnen hatte. Obwohl meine innere Stimme sehr deutlich sagte, dass ich unbedingt eine längere Erholungspause benötigte, begann ich sofort mit der Arbeit auf meiner Traumarbeitsstelle. Dem immensen Stress statt der benötigten Ruhepause konnte mein Körper nicht standhalten. Ich hatte gelegentliche Sehstörungen und eine gewisse Beinschwäche. Beide Krankheitszeichen brachte ich nicht miteinander in Verbindung und suchte unterschiedliche Ärzte auf. Irgendwann waren die Symptome dann verschwunden. Die Diagnose wurde erst ein Jahr später gestellt.

Meiner Therapeutin und mir war schnell klar, dass der Ausbruch einer Autoim munerkrankung gut in mein Stressreaktionsmuster passt. In den Jahren zuvor hatten wir festgestellt, dass ich bei meinen traumatischen Gewalterfahrungen in der Kindheit als Überlebensstrategie meine Gefühle einschließlich meiner Wut abgespalten hatte. Das bedeutete, dass ich den Zugang zu meinen Emotionen verloren hatte und sie mir damit nicht mehr zugänglich waren. Mein Erleben spielte sich fast ausschließlich im Denken ab. Nach unserer Ansicht hatte die Wut sich in meinem Kopf „niedergelassen“ und entzündete sich dort statt im Außen.


Hilfe aus der neurobiologischen Forschung

Wir erklärten uns meine MSSchübe so, dass sie die seelischen Abläufe der Gewalterfahrungen spiegeln. Fehlgesteuerte T-Zellen attackieren körpereigenes Gewebe des Gehirns beziehungsweise des Rückenmarkes. Eine Antigen- Antikörper-Reaktion findet statt. Die T-Zellen-Fehlsteuerung entspricht der psychischen Identifikation mit dem Aggressor. Unseres Erachtens stellten diese Abläufe den Versuch dar, diese Wutproblematik auf der körperlichen Ebene zu lösen. Eine Bestätigung unserer Krankheitstheorie fand ich vor kurzem durch die Beschäftigung mit den Ergebnissen der neurobiologischen Forschung. Wie J. Bauer in „Das Gedächtnis des Körpers“ ausführt, haben Studien aus den letzten Jahren den dramatischen Einfluss von Traumaerfahrungen bei einer Reihe von Erkrankungen gesichert.

In einer Psychotherapiestunde im Sommer 2000, in der ich berichtete, dass meine Füße weiterhin kribbelten, fragte meine Therapeutin mich, ob sie meine Füße mit ihren Händen berühren dürfte. Eine Unmenge von Energie strömte durch meine Beine und das Kribbeln hörte sofort auf. Es war wie ein Wunder, das mir unfassbar erschien. Das Kribbeln kam nie wieder. Bei Schüben und auch in den Zeiten dazwischen legte meine Therapeutin ihre Hände, die eine heilsame Wärme ausstrahlen, auf meinen Kopf, meine Augen, meine Milz, die Nebennieren, manchmal an die Füße, später auch auf das Rückenmark. Die Symptome besserten sich immer schnell.

Eines meiner wichtigsten Therapieziele war es schon vor der MSDiagnose, mir die Energie und Macht meiner Wut wieder zugänglich zu machen, sie zu integrie ren. Wenn ich diesen psychischen Grundkonflikt würde lösen können, so unsere Überzeugung, könnten die MS-Schübe eines Tages überflüssig werden. Da meine Wut mir als Kind sehr gründlich ausgetrieben worden ist, erweist sich dieses Vorhaben als äußerst schwierig, es geht nur über viele kleine Schritte im täglichen Leben und große Geduld.

Bei meiner Suche nach Schubauslösern erkannte ich, dass Schübe immer 3–4 Tage nach erheblichem körperlichem Stress oder nach intensiven Konfrontationen mit meiner abgespaltenen Wut auftraten. Urlaube im Reizklima und sportliche Aktivitäten meide ich daher. Nachdem ich bis Mitte 2003 diverse Schübe hatte, war ich bis Mitte 2007 schubfrei. In den Jahren danach gab es angesichts einiger unvermeidlicher Belastungen mehrere Entzündungen, zum Teil mit Symptomen, die sich schnell zurückbildeten.






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