FORUM PSYCHOSOMATIKZeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 2. Halbjahr 2010 |
Am Montag, dem 1. Mai 2000, bin ich aufgewacht und habe alles doppelt gesehen. In den folgenden Tagen habe ich nach einigen Untersuchungen im Alter von 39 Jahren die Diagnose „Multiple Sklerose“ „verpasst“ bekommen und wurde in die Uni- Neurologie eingewiesen. Ich war zutiefst schockiert und konnte mir tagelang nicht vorstellen, dass ausgerechnet ich „etwas so Schlimmes“ haben könnte. Durch die Cortison- Behandlung verschwanden die Doppelbilder zwar schnell wieder, die Angst vor dieser zunächst unheimlich wirkenden Krankheit sollte mich aber noch über längere Zeit begleiten.
Einen Monat nach der Diagnose machte ich Urlaub am Mittelmeer und kam mit ständig kribbelnden Füßen zurück, die Cortisonbehandlung half kaum. Nun stand laut meiner Neurologin die Entscheidung an, ob ich mir regelmäßig Interferone zur Schubprophylaxe spritzen sollte. Sie scheute nicht davor zurück, mir die ihres Erachtens zwangsläufige Pflegebedürftigkeit detailliert vor Augen zu führen. Es wirkte auf mich wie ein gezieltes Angstmachen, damit ich mich zur Interferoneinnahme bereit erkläre. Die Macht, die ich zunächst ÄrztInnen zuschrieb, verstärkte den auf mir lastenden Druck immens. Für mich war dieses Thema eine wochenlange, starke Belastung. Ich fühlte mich zu einer intensiven inhaltlichen und emotionalen Auseinandersetzung mit diesem Thema aufgefordert. Eine Dauermedikation würde sich nach meiner Vorstellung negativ auf meine Selbstheilungskräfte auswirken. Besonders wichtig erschien es mir, dass meine innere Stimme sich gegen das Interferon aussprach. Für dieses Medikament sprach letztlich nur meine Angst vor bleibenden Behinderungen und Beeinträchtigungen.
Letztlich lehnte ich die Einnahme ab. Zur schnellen Wiedererlangung meiner Arbeitsfähigkeit ließ ich mir zwar noch in den ersten drei Jahren Cortisoninfusionen geben, wandte mich dann aber endgültig von der Schulmedizin ab, da ich meinen eigenen Weg gefunden hatte. Ich merkte, dass mich dieser Entdeckungsweg, der einige Monate nach der Diagnose
begann, immer wieder begeisterte und mir Energie brachte. Der aktive Umgang, das Suchen nach Informationen und Heilungswegen, tat mir insgesamt sehr gut.
Auf diesem Weg stellte ich zunächst zusammen mit meiner Psychotherapeutin umfangreiche Überlegungen an, warum gerade ich eine derartige Erkrankung bekam. Ich war überzeugt davon, dass ich, wenn ich meinen ganz persönlichen Weg in die MS sehen könnte, auch den Weg des Ausstieges würde entwickeln können. Im Zentrum der Entwicklung meiner subjektiven Krankheitstheorie steht das Thema „Stress“, das mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Schon im Mutterleib habe ich als Kind von Eltern, die im II. Weltkrieg schwer traumatisiert wurden und ein Jahr vor meiner Geburt ihr erstes Kind verloren, unter Stress und Anspannung gestanden.
Meine gesamte Kindheit war geprägt von körperlichen Gewalttätigkeiten. Im Alter von ca. 12 Jahren brach in einer Zeit besonders großer Belastung eine Schnupfenallergie aus, unter der ich 20 Jahre lang litt. Als wesentliche Ursache sehe ich meine Gewalterfahrungen, die mein Immunsystem entgleiten ließen. Diese allergische Erkrankung war meines Erachtens der Vorgänger meiner späteren MS-Erkrankung. In dem einen Fall reagiert das Immunsystem auf körpereigenes Gewebe übermäßig, in dem anderen auf harmlose Substanzen wie Hausstaub. Anfang der 90er Jahre wurde meine Schnupfenallergie durch eine Eigenblutbehandlung bei einer Heilpraktikerin geheilt. Danach hatte ich in großen Abständen leichte, vorübergehende Sym ptome wie Fußkribbeln oder Beinschwäche. Für mich war später von großem Interesse zu lesen, dass man eine Allergie nicht kurieren sollte, wenn der psychische Grundkonflikt nicht gelöst sei, denn dann laufe man Gefahr, eine Autoimmunerkrankung zu bekommen, durch die sich der Konflikt weiterhin Ausdruck verschafft.
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