FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 2. Halbjahr 2010




Wir haben das Schulungsprogramm in einer randomisierten kontrollierten Studie untersucht. 150 Betroffene haben teilgenommen, 75 haben diese Schulung bekommen, 75 nicht. Wir haben zwei Jahren beobachtet: Die Personen aus der Schulungsgruppe wissen hinterher mehr. (Das ist jetzt kein relevanter Endpunkt, es wäre komisch gewesen, wenn das nicht stattgefunden hätte.) Die Entscheidungsautonomie wurde außerdem erhöht, es gab autonomere Therapieentscheidungen zur Kortisontherapie, es gab weniger Arztbesuche, weniger Telefonate mit Ärzten und nach zwei Jahren haben die Menschen subjektiv berichtet, dass der Verlauf besser sei als in der Kontrollgruppe. Wir haben uns lange überlegt, wonach wir den Erfolg beurteilen und wir haben uns für „Anzahl und Art der Kortisontherapien“ entschieden, ein sehr geschickter Schachzug von uns, wie ich immer noch finde.

Unser Endpunkt waren Schübe, die entweder „gar nicht behandelt“ oder „oral behandelt“ wurden. Das sind in der Interventionsgruppe (Abb.9) 78 Prozent gewesen, in der Kontrollgruppe waren es immerhin noch 56 Prozent. Es gab deutlich weniger i.v.-Therapien (i.v. = intravenös, d. Red.) bei der Interventionsgruppe und mehr stationäre i.v.-Therapien bei der Kontrollgruppe. Man sieht also auch bei so einem harten Endpunkt, dass es einen klaren Effekt gegeben hat.

Ein weiterer Effekt, den wir beobachtet haben, betrifft die Anzahl der Schübe und das hat uns auch überrascht: Wir haben vorher und hinterher in der Kontrollgruppe und in der Schulungsgruppe nach Schüben gefragt (Abb.10). Vorher war die mittlere Schubrate in zwei Jahren bei beiden Gruppen etwa gleich groß: 3,1 bzw. 3,2 Schübe. In den zwei Jahren innerhalb der Studie, haben wir festgestellt, dass in der Schulungsgruppe während der zwei Jahre im Schnitt nur 1,9 Schübe auftraten, während es in der Kontrollgruppe 2,7 Schübe waren – fast ein Schub weniger in den zwei Jahren. Psychoneuroimmunologie oder Coping oder Selbstmanagement oder Empowerment – wie immer man es bezeichnen mag, es bedeutet, dass auch bei einem so harten Krankheitsparameter wie der Schubrate etwas passiert ist. Soweit zum therapeutischen Effekt von Schulungen.

Ich komme zum Schluss: Was können wir aus all dem lernen? Wir glauben, dass durch ein umfassendes Programm die Betroffenen aktivere Rollen einnehmen können. Wir glauben, dass sich die aktiven Betroffenen besser verständlich machen können und sie dann auch sehr viel besser darin unterstützt werden können, ihre Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Das führt zu einer höheren Lebensqualität und – wie wir an den Schüben gesehen haben – eventuell auch zu einer Modifikation des Verlaufes. Ich glaube, dass durch die kritischere Bewertung und Beobachtung von Therapiemaßnahmen weniger unwirksame oder schädliche Therapien durchgeführt werden. Sicherlich können auch die Arztkonsultationen besser und effektiver erfolgen und hoffentlich nicht so, wie in den kleinen Cartoons, die ich Ihnen anfangs gezeigt habe.

Wo bleibt nun die Compliance und die Adhärenz2? Aus unserer Sicht erhöht Empowerment die Adhärenz und zwar die richtige Adhärenz, die von der Werthaltung der Betroffenen in den Therapieprozessen definiert wird und nicht von irgendwelchen anderen Vorstellungen von Ärzten oder sonstigen Menschen, die meinen, dass sie wissen, was für mich das Richtige ist. Es ist sicherlich noch ein sehr, sehr langer Weg bis dahin und damit danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, nicht aber, ohne auf die Regenwahrscheinlichkeit zurückzukommen.

Also, die richtige Antwort ist Antwort 3 und das ist ganz interessant an dieser Studie: Fast alle lagen falsch, außer den Amerikanern. Sie sind anscheinend gewohnt, in solchen Wahrscheinlichkeiten zu denken oder mit solchen Chancen zu rechnen. In allen anderen Ländern wie Deutschland, Italien usw. wurde Antwort 3 von allen als die am wenigsten wahrscheinliche angegeben. Sie hier in diesem Saal waren die Ausnahme! Und damit danke ich Ihnen jetzt noch einmal.



* Die Mitschrift des Vortrags von Dr. Sascha Köpke wurde bearbeitet von H.- Günter Heiden




1 Die Cochrane Collaboration (CC) ist eine internationale gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, aktuelle medizinische Informationen und Evidenz zu therapeutischen Fragen allgemein verfügbar zu machen, um Medizinern Entscheidungen zu erleichtern und Patienten aufzuklären. (zit. nach www.cochrane.de).


2 Compliance“ bedeutet das kooperative Verhalten von PatientInnen, „Adhärenz“ bedeutet die Einhaltung gemeinsam gesetzter Therapieziele, d. Red.






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