Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/08




Ob aber tatsächlich ein Kausalzusammenhang zwischen den Vorgängen im Gehirn und im Immunsystem vorlag, blieb eine offene Frage. Wie ist es überhaupt möglich, dass Gehirn und Psyche auf das Immunsystem einwirken? Psychoneuroimmunologen wissen schon lange, dass die Lymphknoten und andere Organe des Immunsystems mit ihren unzähligen Immunzellen vom Gehirn Botschaften empfangen, die sowohl durch Hormone als auch durch das – unbewusst arbeitende – vegetative Nervensystem übermittelt werden. So geben die über der Niere gelegenen Nebennieren bei Stress ohne Zutun unseres Willens auf Veranlassung des Gehirns reichlich Cortisol ab, ein Hormon, welches nicht nur den Energiestoffwechsel mobilisiert, sondern auch die Aktivität der Immunzellen hemmt.

Je höher also die Blutwerte dieses Stresshormons sind, umso sparsamer ist auch die Antikörperproduktion nach einer Infektion. Da nun aber bei rechtsseitig Hirnaktivierten der Blutspiegel des Stresshormons Cortisol deutlich erhöht ist, erscheint die (leichte) Schwäche des Immunsystems dieser tendenziell gestressten und ängstlichen Menschen verständlich. Der bemerkenswerte Zusammenhang zwischen Stressbelastung und Immunschwäche ist überzeugend durch die klinischen Studien der Psychoneuroimmunologin Janice Kiekolt-Glaser von der Universität Ohio in Columbus herausgearbeitet worden, und sie fand auch heraus, wieso chronischer Stress, den Pflegepersonen von dementen Alzheimerkranken erleiden müssen, die Immunabwehr gegen Grippe empfindlich schwächt: Pfleger und Pflegerinnen, die mit Grippevaccine geimpft wurden, produzierten nämlich nicht nur weniger Antikörper gegen die abgetöteten Influenzaviren eines Impfstoffes als die kaum gestressten Versuchspersonen in der Kontrollgruppe, sondern auch weniger Interleukine.

Die Blutwerte einiger dieser für die Produktion von Antikörpern wichtigen Botenstoffe bestimmter weißer Blutkörperchen (Lymphocyten) waren bei den Gestressten eindeutig zu niedrig. Durch Entspannungsübungen in Hypnose gelang es jedoch Janice Kiekolt- Glaser, die Antikörperproduktion wieder zu erhöhen. Deshalb sollten wir uns auch nicht wundern, dass gerade bei stressempfindlichen und tendenziell depressiven Menschen die Immunabwehr durch eine Achtsamkeitsmeditation gestärkt wird, zumal sie gelassener macht.

Außer Stresshormonen nimmt also auch das vegetative Nervensystem Einfluss auf die Abwehrzellen des Immunsystems. Die vom Gehirn zu den inneren Organen führenden vegetativen Fasern eines Hirnnervs (Nervus vagus) und der im Rückenmark entspringende Sympathikus bewirken nämlich nicht nur, dass das Herz nach Bedarf langsamer oder schneller schlägt. Sie wirken auch modulierend auf die Abwehrzellen des Immunsystems, wie der US-Psychoimmunologe Kevin Tracey mit sinnreichen Experimenten herausfand (Nature, Bd. 420).

Unser vegetatives Nervensystem gehorcht zwar bekanntlich nicht unserem Willen. Dennoch: Wenn – beispielsweise – der indische Yogi Swami Rama imstande war, dank Meditation und autosuggestiver Techniken allein durch die Kraft der Imagination auf sein Herz einzuwirken und damit den Puls nach Belieben zu erhöhen oder zu senken – warum sollte es dann nicht auch möglich sein, auf ähnliche Weise die Aktivität des Immunsystem zu verändern, das ja genauso wie das Herz durch das vegetative Nervensystem beeinflusst wird? Die aktuelle Psychoimmunologie- Forschung zeigt eindrücklich und beispielhaft, wie sehr Psyche und Körper aufeinander einwirken.

Prof. Dr. Johann Caspar Rüegg war bis 1998 Leiter des 2. Physiologischen Instituts der Universität Heidelberg. Seit 1998 ist er auch Mitglied in der Schweizerischen Akademie derMedizinischenWissenschaften. In unserer Rubrik „Bücherkiste” (S.29) stellen wir Ihnen seinen Titel „Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie” vor.




* Der vorliegende Text erschien erstmals in der „Frankfurter Rundschau” vom 15. November 2007.




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