Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 2/08 |
Nach Ansicht von Ärzten wie
Yavus Yildirim-Fahlbusch, Chefarzt
der Medizinischen Klinik Lübbecke,
kommt es aufgrund der
Missverständnisse in Bezug auf Beschreibungen
und Begriffe, aber
auch auf Mimik und Gestik bei Migranten
häufiger als bei deutschen
Patienten zu „Fehldiagnosen und
unangemessenen Therapien, die
in problematische Krankenkarrieren
münden“.
In Regionen mit überdurchschnittlich
hohem Ausländeranteil
sind die Probleme besonders virulent.
Laut einer Studie der Berliner
Universitätsfrauenklinik gab fast
die Hälfte der Befragten mitMigrationshintergrund
an, die Informationen
der Ärzte und Ärztinnen
seien für sie unverständlich gewesen.
Raimund Geene von der Berliner
Landesarbeitsgemeinschaft
Gesundheitsförderung spricht deshalb
von einem „Trend zur Ausgrenzung
ausländischer Patienten“.
Und die ehemalige Berliner
Ausländerbeauftrage Barbara
John beklagt: „Was das Verstehenwollen
von Migranten angeht,
ist Deutschland eine Wüste.“
Es sind jedoch nicht nur Sprachprobleme
und unterschiedliche Organchiffren,
die zu Missverständnissen
führen. Laut Gün haben Patienten
aus dem islamischen Kulturkreis
häufig ein anderes, ganzheitlicheres
Verständnis von Schmerz
und Krankheit. Da führt schon die
simple Frage, wo es denn weh tue,
in die Irre. Die Antwort lautet dann
meist: „Überall“ oder „Mein Kind
ist alles krank“. „Eine lokalisierte
Erkrankung, die nicht die gesamte
leiblich-seelische und soziale Befindlichkeit
des Betroffenen in Mitleidenschaft
zieht, ist unvorstellbar“,
sagt auch Yildirim-Fahlbusch.
Außerdem könnten viele
Migranten schon aufgrund mangelnder
Anatomiekenntnisse die
differenzierte Beschreibung der
Beschwerden, die ein deutscher
Arzt erwarte, nicht liefern.
Hinzu kommt, dass zum Beispiel
im türkischen Kulturkreis die
Frage nach der Krankheitsursache
von größerer Bedeutung ist als
deren diagnostische Einordnung.
„Krankheit stellt ein bedrohliches
Ereignis dar“, so Yildirim-Fahlbusch. Denn die Ursachen von körperlichen
und seelischen Störungen
liegen nach Ansicht der Betroffenen
im Menschen selbst. „Leiden
bedeutet eine Strafe und eine
Prüfung Gottes“, stellt der Neurologe
und Kinderarzt Professor Fuat
Aksu von den Vestischen Caritas-
Kliniken in Datteln fest.
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