Typisch sei der Fall eines Vaters, dessen Kind an einer seltenen Erkrankung litt, die zu einem Abbau des Gehirns führte. Er lehnte die Behandlung ab mit der Begründung, dass ein Erfolg oder gar eine Heilung nur dazu führe, dass das Kind dann eine andere Krankheit entwickle. Das Leiden könne nur durch die Umkehr zu Gott überwunden werden; eine Meinung, die laut Aksu viele seiner Patienten vertreten. Was der Mensch tun könne sei: sich in Geduld üben, beten, Gott um Hilfe bitten, niemals „explodieren“.

Insgesamt sind Menschen mit Migrationshintergrund nur unwesentlich häufiger krank als andere Bürger. Sie gehen auch nicht mehr oder weniger oft zum Arzt. Laut neuer Daten des Robert-Koch-Instituts in Berlin haben sie jedoch etwas häufiger Arbeitsunfälle. Außerdem leiden Migranten aus Osteuropa oder Afrika öfter an bestimmten Infektionskrankheiten, die sie aus ihren Herkunftsländern mitgebracht haben, zum Beispiel Tuberkulose oder HIV. Allerdings sind Menschen ausländischer Herkunft häufiger mit dem deutschen Gesundheitssystem unzufrieden, und zwar unabhängig davon, aus welchem Land sie kommen. Das liegt vor allem an mangelnder Aufklärung: Migranten wissen oft wenig über Abläufe und Angebote. Die Folge ist, dass sie zum Beispiel seltener die Krebsfrüherkennung, die Schwangerschaftsvorsorge oder Ernährungsberatung nutzen. Zum Zahnarzt gehen sie erst, wenn sie Schmerzen haben. Auch Psycho- oder Verhaltenstherapien nehmen Migranten kaum in Anspruch. „Psychosomatische und psychische Erkrankungen werden in die Kategorie ‚geisteskrank’ eingestuft und deshalb vehement abgewehrt“, so Yavus Yildirim-Fahlbusch.

In vielen Kulturkreisen werden jedoch nicht nur seelische Leiden tabuisiert, sondern auch Behinderungen. „Was haben wir nur gemacht? Wer ist schuld? Warum wir?“ haben sich Sevgi Kaya, 38, und ihr Mann Niyazi, 43, immer und immer wieder gefragt. Warum hat Gott ihnen diese Bürde auferlegt? Ihr Sohn Ohur, 14, hat eine geistige Behinderung. Sevgi, die als junge Frau aus der Türkei nach Deutschland kam, sprach zunächst kein Wort Deutsch, hatte keine Freunde. Ihr Mann arbeitete von morgens früh bis abends spät im Restaurant. Und dann die Selbstvorwürfe und diese Scham. „Wir haben viele Jahre gehadert“, sagt Niyazi Kaya. Auch die Familie und Bekannte waren keine Hilfe. Die Reaktionen waren mal verletzend, mal leugneten sie die Behinderung. „Gute Besserung!“ war ein Satz wie ein Nadelstich.





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