Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/07

Zusammenfassend habe ich in meiner Funktion als Jurymitglied die heute prämierte Arbeit folgendermaßen beurteilt:
„Swing in my brain“ wird als beste der vorliegenden Arbeiten beurteilt, da sie innovativ ein Modell vorstellt und untersucht, das in hohem Maße Erleben, Wahrnehmung, Selbstakzeptanz und Kohärenz bei an MS erkrankten Menschen fördert. Ferner werden in überzeugender Form auf Ressourcen aufbauende positive Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt, sodass die Arbeit neben hoher psychosomatischer ebenfalls hohe therapeutische Relevanz besitzt.

In meinen weiteren Ausführungen möchte ich nun einen Ausblick und eine Zukunftsvision wagen. Die Neurowissenschaften durchlaufen in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung. Die drei Forschungsbereiche Neurowissenschaft (insbesondere die Hirnforschung), Grundlagenpsychologie und Psychotherapie sind wesentlich näher zusammen gerückt und dieser aktuellen Entwicklung folgend, hat der renommierte Psychotherapieforscher Klaus Grawe sie in einen gemeinsamen theoretischen Rahmen gebracht, den er als „Konsistenztheorie“ bezeichnet.

Konsistenztheoretische Annahmen werden derzeit intensiv überprüft, einige haben sich bereits durch empirische Befunde und klinische Erfahrungen bestätigt. Eine zentrale Erkenntnis hierbei ist der Nachweis der sogenannten „neuronalen Plastizität“ – im Grunde eine gute Nachricht der Hirnforschung insofern, dass das Gehirn sowohl auf schädigende, als auch auf fördernde Einflüsse offensichtlich mit einer großen Anpassungbereitschaft und -fähigkeit reagiert.

Die Psychotherapieforschung geht im Zusammenhang mit den Ergebnissen aller bisher abgeschlossenen Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren (z. B. funktionelle MRT-, Spect -Untersuchungen, zum Beispiel Karni et al. 1995) davon aus, dass man das Gehirn durch genügend intensive Einflüsse so verändern kann, dass sich selbst tragende Strukturen entstehen.

Alle therapeutischen Veränderungen beruhen letztlich auf Veränderungen synaptischer Übertragungsbereitschaften, hierbei spielen hemmende und bahnende Einflüsse auf der Ebene der einzelnen Synapsen und Neuronen, letztlich auf allen Ebenen des Nervensystems eine zentrale Rolle.

Die Neurowissenschaften werden sich im Sinne der „Konsistenztheorie“, das heißt im Zusammenhang mit der Grundlagenpsychologie und der Psychotherapieforschung, in Zukunft intensiv mit so spannenden Fragen zu beschäftigen haben wie etwa: „Mit welcher Dosis/Intensität und Zeit müsste ein Therapieverfahren erfolgen, um im Gehirn im Sinne der nachgewiesenen Plastizität neue, sich selbst aufrechterhaltende Strukturen aufzubauen?“

Der Neuropsychotherapie-Forschung wird neben der Entwicklung neuer Behandlungsverfahren der Multiplen Sklerose in Zukunft eine große Bedeutung zukommen. Die vorliegende und heute prämierte Arbeit „zur Schöpferischen Musiktherapie mit an MS erkrankten Menschen“ beinhaltet wesentliche Effizienzkriterien eines wirksamen Therapieverfahrens im Kanon der psychotherapeutischen Behandlungsmethoden:

Hierzu gehören:
• vor allem lebendiges Kontaktgeschehen vor dem Hintergrund einer therapeutischen Beziehung (nachweislich der eigentliche Wirkfaktor der Psychotherapie), • ausgeprägte Ressourcenorientierung, • aktives Moment mit der Chance zu Selbstwirksamkeit und Veränderung.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen mir besonders wichtig erscheinenden Aspekt hervorheben:
Viele Menschen mit MS leiden infolge der Erkrankung unter dissoziierten, zum Teil fragmentierten Körperwahrnehmungen. Die aktive Musiktherapie bietet die Möglichkeit, diese wieder schrittweise zu synchronisieren und zu integrieren, da aus psychosomatischer Sicht das ganzheitliche Erleben der Sinne und des Selbst gefördert wird.

Daher ist meines Erachtens die aktive Musiktherapie eine wichtige und effektive Ergänzung zu traditionellen funktions- und symptomorientieren Therapieangeboten in der Behandlung der Multiplen Sklerose.

Bevor ich nun am Ende meiner Laudatio angelangt bin, möchte ich den Bogen schließen und noch einmal auf Herrn Dr. Wolfgang Schmid zurück kommen, bevor ihm gleich der siebte Forschungspreis der Stiftung Lebensnerv verliehen wird.Wolfgang Schmid hat in seinem Lebenslauf als geschätzte Freizeitaktivitäten neben dem Singen im Chor und Aufenthalt in der Natur, Kochen und Essen angegeben. Mit „Swing in my brain“ ist ihm ein wohlschmeckendes und abgerundetes Menu gelungen. Ich finde es ausgesprochen wünschenswert, wenn möglichst viele hierfür geeignete Menschen, die an MS erkrankt sind, in den Genuss dieser therapeutischen Erkenntnisse kommen können.

Mein herzlicher Glückwunsch geht an Sie, Herr Dr. Schmid. Mögen Sie Forschung und Therapie im Bereich der MS-Erkrankungen weiterhin bereichern.Mit Ihrer Arbeit haben Sie in hervorragenderWeise demonstriert, wie Engagement, unmittelbarer therapeutischer Kontakt und Experimentierfreude Menschen mit MS zugute kommen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!




Dr. med. Thomas Bade ist Jurymitglied der Stiftung LEBENSNERV
und arbeitet als Facharzt für Neurologie u. Psychiatrie, Psychotherapeutische
Medizin, Psychotherapie, Spezielle Schmerztherapie in Münster

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