Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/03


Patientenzufriedenheit -
eine Illusion?

Können unzufriedene Ärzte zufriedene Patienten haben? Natürlich nicht, denn zwischenmenschliche Kommunikation läuft regelhaft als zirkulärer Prozess ab. Eine von der Bertelsmann Stiftung initiierte und vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen wissenschaftlich betreute Befragung (Ende 2001/Mitte 2002) unter rund 3000 Bürgern über ihre Erfahrungen in Arztpraxen und Kliniken ergab, dass fast jeder dritte Befragte (31 Prozent) schon einmal den Hausarzt gewechselt hatte, weil er mit dessen Behandlung nicht einverstanden war. Über die Hälfte der Kassenpatienten halten die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland für verbesserungsbedürftig, was gut im Einklang mit der Meinung der behandelnden Ärzte selbst steht: etwas mehr als die Hälfte ist überzeugt, dass die Qualität der Behandlungen nicht dem neuesten medizinischen Standard entspricht. Im internationalen Vergleich mit den Staaten der Europäischen Union belegt die Patientenzufriedenheit in Deutschland nur einen mittleren Platz.

Andererseits fühlen sich viele niedergelassene Ärzte (83 Prozent) durch fordernde Patienten bedrückt. Die Patienten werden als anspruchsvoller erlebt, ihr Informationsstand und ihre Skepsis gegenüber dem Arzt wachsen, viele holen eine Zweitmeinung ein. Gleichzeitig wird dennoch der
Arzt als persönliche Bezugsperson wichtiger. Diese Ambivalenz zwischen Misstrauen und Bedürfnis nach Vertrauen unterstreicht den Wunsch nach intensiverer Beratungsarbeit.

Vertrag statt Vertrauen

Die Wurzeln dieser Phänomene reichen rund eine Generation zurück. Medizinverständnis und Arzt-Patient-Beziehung befinden sich seit den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im Wandel, wobei technologische Errungenschaften, gesellschaftliche Einflüsse und ökonomische Rahmenbedingungen als interferierende Elemente bedeutsam sind. Dem tradierten, überwiegend paternalistisch bestimmten Rollenverständnis von Arzt und Patient treten kontrapunktische Entwicklungen entgegen, in denen der klassische Heilauftrag (Heilen, Lindern, Vorbeugen) immer mehr zugunsten einer Kunden-Leistungserbringer-Konstellation aufgeweicht wird. Das alte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird teilweise abgelöst von einem Vertragsverhältnis mit genau definiertem, juristisch einklagbarem Leistungsumfang. Der Patient wird zum Kunden, der Arzt zum Dienstleister, Praxis und Krankenhaus zum „Profit-Center“. Der Umgang zwischen Arzt und Patient wird berechnender in jedem Sinne. Kein Wunder, dass der Umgang miteinander dann häufig dem von misstrauischen Geschäftspartnern entspricht.

Identitätskrisen

In diesem Spannungsfeld zwischen Kundendienst, Wissenschaftlichkeit und Kostendämpfung, in dem die Medizin zunehmend agieren muss, wird die Identitätsfindung der Beteiligten immer schwieriger. Axel W. Bauer hat dies als das „Trilemma der modernen Medizin“ bezeichnet. Insbesondere Berufsanfänger und jüngere Ärzte erleben die …konomisierung ihres Berufs als enttäuschend und traumatisch. Als „Geschichtenerzähler oder Jongleur“ komme sie sich vor, schreibt eine junge Kollegin, wenn sie statt Patienten zu betreuen, am Computer die für das Haus kostenträchtigste Hauptdiagnose zu finden versuche. „Nicht selten behandele ich nur Diagnosen auf dem Papier - und erreiche dabei gar nicht den Menschen“ klagt ein Berliner Assistenzarzt. Der Einbruch der Ökonomie in ärztliches Handeln rückt den Kranken zunehmend aus dem Blickfeld und wird zum Nährboden für schizoide Selbstbilder des Arztes.

Auseinanderfallende Menschenbilder und Verstörungen im Rollenverständnis irritieren die Suche der Heilberufe nach ihrer Identität. Sie zu artikulieren erscheint im System einer hochtechnisierten Medizin immer aussichtsloser. Das Resultat ist eine auffallende Aphasie der Handelnden, was ihr Selbstverständnis angeht, und ein kompensatorisches Getriebensein mit Tunnelblick. Wer den Klinikalltag tretmühlenhaft erlebt, schleift sich selbst allmählich bis zu Farblosigkeit ab. „Keine großen Einsichten, keine besondere Freundlichkeit, keine ungewöhnlichen Fähigkeiten, kein Anzeichen von Zufriedenheit oder Einsamkeit, keine Spur von Visionen oder Träumen ...“ , so beschreibt sich der amerikanische Klinkarzt Frank Huyler in seinem Buch „Notaufnahme. Geschichten zwischen Leben und Tod“





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