FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 25. Jahrgang, 2. Halbjahr 2015

Vom Ewigkeitsgedanken zur Verbrauchsstiftung – Ein Interview

In der Ausgabe 04-2015 der StiftungsWelt hat die Stiftungsvorsitzende Dr. Sigrid Arnade erläutert, warum die Stiftung LEBENSNERV in eine Verbrauchsstiftung umgewandelt wurde. StiftungsWelt ist das Organ des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, dessen Mitglied LEBENSNERV ist.

StiftungsWelt: Vor rund 25 Jahren gründeten Sie mit 100.000 DM die Stiftung LEBENSNERV, die im August 2015 in eine Verbrauchsstiftung umgewandelt wurde. Weshalb?

Arnade: Als Susanne Same und ich die Stiftung 1991 gründeten, gab es die Möglichkeit, eine Verbrauchsstiftung zu errichten, noch nicht. Hätte es diese gegeben, hätten wir eine Verbrauchsstiftung gegründet. Wir gingen außerdem davon aus, dass das Stiftungskapital mit Zustiftungen rasch wachsen würde, sodass wir mit den Zinsen etwas bewegen könnten. Doch zum einen sind die Zustiftungen in der gewünschten Höhe ausgeblieben. Zum anderen ist das Zinsniveau dermaßen gesunken, dass unser Kapital von gut 90.000 Euro fast nichts mehr abwirft.

StiftungsWelt: Sie gelten als engagierte und starke Persönlichkeit. Das Kämpfen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und gegen die Mehrfachdiskriminierung liegt Ihnen im Blut. Warum war es so schwierig, Zustiftungen einzuwerben?

Arnade: Größere Zustiftungen sind selten. Andere, die Geld haben, gründen lieber eine eigene Stiftung. Jeder verfolgt so sein eigenes Thema statt die Kräfte zu bündeln. Unser Thema ist außerdem nicht so öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren wie zum Beispiel das wichtige Anliegen, krebskranken Kindern zu helfen. Gerade am Anfang hatten wir noch mehr Zuspruch und öffentliche Aufmerksamkeit, auch weil es damals kaum therapeutische Optionen für die MS gab. Das hat sich grundsätzlich geändert. Die Betroffenen finden sich in dem Dschungel der Therapieoptionen kaum zurecht, wobei für mich nach wie vor unklar bleibt, ob das Pharmaangebot auch den Betroffenen oder nur den Firmen zugutekommt.

StiftungsWelt: Fiel Ihnen die Entscheidung schwer, sich von dem Gedanken einer „auf Ewigkeit" arbeitenden Stiftung zu verabschieden?

Arnade: Nein, es war vielmehr eine Erleichterung, dass wir diese Umwandlung realisieren konnten. Schließlich wird die gesamte Stiftungsarbeit bei uns ehrenamtlich geleistet. Und die Frage der Nachfolge hat mich schon belastet. Das Problem stellt sich jetzt nicht mehr.

StiftungsWelt: Wie war der Abstimmungsprozess mit der Landesstiftungsaufsicht?

Arnade: Für uns war die Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung keineswegs "Tagesgeschäft", sondern etwas Besonderes. Die Abstimmung mit der Stiftungsaufsicht gestaltete sich unerwartet unkompliziert. Man zeigte großes Verständnis für unsere Situation und unterstützte uns bei der Umwandlung. Günstig für uns war sicherlich auch, dass wir zwei Stifterinnen beide nach wie vor im Stiftungsvorstand aktiv sind und unseren Willen äußern können.

StiftungsWelt: Sie gründeten die Stiftung damals mit dem Ziel, neue Perspektiven wie die ganzheitliche Sicht in die MS-Forschung einzubringen. Inwieweit ist Ihnen das gelungen?

Arnade: Der Impuls ist von vielen Seiten dankbar aufgegriffen worden. Inzwischen ist es viel selbstverständlicher, psychosomatische Faktoren bei der Betrachtung von kranken Menschen, Krankheiten und Symptomen zu berücksichtigen und mitzudenken. Dazu konnten wir sicherlich ein wenig beitragen. Im Laufe der Zeit haben sich auch unsere Schwerpunkte verlagert und es ging uns zunehmend darum, die Betroffenen zu stärken, in den gegebenen Grenzen mit eventuellen Einschränkungen ein gutes selbstbestimmtes Leben zu führen. Dieses „Empowerment" hat viele Schnittmengen mit der Psychosomatik.

StiftungsWelt: "Ich würde es immer wieder tun!", sagten Sie 2010 über die Stiftungsgründung in unserem Buch "Stifterinnen. Frauen erzählen von ihrem Engagement". Würden Sie heute etwas anders machen?

Arnade: Wenn ich heute in der damaligen Situation wäre, würde ich es wieder tun. Wenn es möglich wäre, würde ich aber sofort eine Verbrauchsstiftung gründen. Schließlich ging es uns weniger darum, etwas für die Ewigkeit zu schaffen, sondern wir wollten im Hier und Jetzt etwas bewegen. Und das geht leichter, wenn man freiere Hand im Umgang mit den Geldern hat.

StiftungsWelt: Was machen Sie, wenn das Vermögen aufgezehrt ist?

Arnade: Die Stiftung soll bis 2026 bestehen bleiben. Dann sind wir beide Stifterinnen 70Jahre alt und die Stiftung hat 35 Jahre lang gewirkt. Wir werden sicherlich Rückschau halten auf das, was die Stiftung bewirkt hat und was nachhaltig bleiben wird. Ich gehe davon aus, dass wir dann das Kapitel Stiftung LEBENSNERV mit einem guten Gefühl zuschlagen können.





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