FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 24. Jahrgang, 2. Halbjahr 2014

Das Milliardengeschäft mit den neuen MS-Medikamenten

"Es ist das vorerst neueste Mittel gegen Multiple Sklerose: Tecfidera - so der Handelsname. Seit Anfang 2014 ist die Kapsel in Deutschland auf dem Markt. In den USA war sie bereits ein Blockbuster1. Der Hersteller Biogen Idec verzeichnete eine Umsatzsteigerung von 40 Prozent im ersten Quartal. Doch kaum ein Patient weiß, auch Tecfidera kann MS nicht heilen, aber seine Nebenwirkungen können töten." Mit diesen Worten beginnt ein spannender sechsminütiger Beitrag der Medizinjournalistin Monika Härle, der beim WDR in der Sendereihe "Quarks & Co" über das MS-Mittel Tecfidera (Wirkstoff Fumarsäure), der Mitte des Jahres unter dem Titel „Das Milliardengeschäft mit neuen MS-Medikamenten“ gelaufen ist. Bei 3sat ist der Beitrag ebenfalls ausgestrahlt worden und zwar in der Sendereihe "nano" unter dem Titel „Ausgang unbekannt". In Härles Film kommt unter anderem der Gesundheitsökonom Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen zu Wort (vgl. dazu auch den Beitrag von Glaeske in dieser Ausgabe). Glaeske kritisiert, dass der Einsatz neuer Medikamente gegen Multiple Sklerose ein "großer Menschenversuch an Kranken" sei, der "nicht gut kontrolliert ist".

Dass man sich gegen solche Versuche wehren kann, zeigt der Film am Beispiel von Jutta Scheiderbauer. Entgegen dem Rat ihres Arztes hat sie alle Medikamente abgesetzt - seitdem geht es ihr gut. Die Triererin ist seit drei Jahren schubfrei und findet im Film klare Worte: "Am meisten ärgert es mich, wenn Druck ausgeübt wird auf Betroffene, wenn sie zum Arzt gehen und ein Beratungsgespräch möchten. Sie werden nicht adäquat aufgeklärt über die Unsicherheit des Nutzens und nicht adäquat aufgeklärt über die möglichen Nebenwirkungen, die über das hinausgehen, was man so allgemein im Internet findet. Die können deutlich härter sein und ich habs auch am eigenen Leib erlebt, dass es mein Leben mehr beeinträchtigt hat als die MS." Oft drohen ihr die Ärzte, so Scheiderbauer weiter im Film, dass sie unbehandelt bald im Rollstuhl sitzen werde - Studien, die dies untermauern könnten, gibt es aber nicht.

Tecfidera, so der Bericht, schwächt das Immunsystem, wodurch dieses einen gefährlichen Virus nicht mehr abwehren kann. So kommt es zur PML. Das ist die Abkürzung für progressive multifokale Leukenzephalopathie, eine meist tödlich verlaufende Viruserkrankung des Zentralen Nervensystems, die eben nur bei abwehrgeschwächten Personen vorkommt. Was noch nicht im Film vorkommen konnte: Erst vor wenigen Wochen berichteten die Nachrichtenagentur Reuters und das deutsche Ärzteblatt über den Todesfall einer Teilnehmerin, die an einer Tecfidera-Studie teilgenommen hatte - gestorben an PML.

Zur Frage der Versorgungssicherheit in Deutschland berichtet der Beitrag dann über die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler (Die LINKE), die selbst mit der Diagnose MS lebt (Bundestagsdrucksache 18/1671). Für Vogler fällt die Antwort der Regierung deprimierend aus: "Die sagen auch ganz offen, zum Beispiel, dass ihnen keine Studien bekannt sind, in denen untersucht wird, wie denn diese Medikamente im Vergleich zu anderen nicht medikamentösen Therapien Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Behinderungsentwicklung bei MS-Kranken haben, sie sehen aber auch keinen Handlungsbedarf." Ebenfalls kein Handlungsbedarf wird angesichts der Tatsache gesehen, dass von 25 MedizinerInnen, die die Leitlinien zur Behandlung der MS erarbeitet haben, sage und schreibe 21 auf den Gehaltslisten der vier größten Pharmafirmen stehen, die an MS-Mitteln verdienen.

HGH

Link zum WDR-Film: http://www1.wdr.de/fernsehen/wissen/quarks/sendungen/aktuellesvideo-tecfidera100.html

Link zum 3sat-Film: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=45677

Link zum Reuters-Bericht: http://www.reuters.com/article/2014/10/22/us-biogen-results-idUSKCN0IB19720141022

Link zum Ärzteblatt: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/60798/Tecfidera-Todesfall-durch-progressive-multifokale-Leukenzephalopathie





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