FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 23. Jahrgang, 1. Halbjahr 2013




Angenommen, Sie hätten die Chance, das Gesundheitssystem radikal zu ändern (quasi: Einmal Revolution mit allem ...) – welche Veränderungen hielten Sie für die wichtigsten?

Revolution wäre gar nicht nötig, jedenfalls nicht im Gesundheitswesen. Echte Reformen würde ich anstreben: Die erste und wichtigste Veränderung wäre die obligate Ge-setzliche Krankenversicherung für alle. Die geradezu absurde Beson-derheit und weltweit deutsche Ein-maligkeit der Privaten Krankenver-sicherung für Gutverdienende ent-zieht dem Solidarsystem gerade die hohen Beiträge. Wer mehr will (was medizinisch gesehen aber eigentlich niemand braucht), wer auf goldene Wasserhähne und täglich zweimal Chefarztlächeln nicht verzichten möchte, der kann sich ja dann entsprechend zusatzversichern. Dabei würde ich nebenbei auch das skandalöse Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge sofort rückgängig machen.

Zweitens würde ich dafür sorgen, dass das reichlich vorhandene Geld für Medizin ausgegeben wird, nicht für Medizinschmarotzer. Eine Positivliste würde z.B. dem Spuk der Pharmalobby rasch ein Ende bereiten. Drittens würde ich die Ausbildung der Ärzte und Pflegekräfte weiter verbessern, würde dem naturwissenschaftlichen Physikum in der Ausbildung ein geisteswissenschaftliches Philosophikum hinzufügen, und allen Ärzte und Pflegekräften Arbeitsbedingungen schaffen, die ihnen die Zeit gibt, ihre Arbeit zu tun, statt in Dokumentation, Bürokratie und Akquise zu ersticken.

Was raten Sie Patienten im Umgang mit Ärzten, Ärzten im Umgang mit Patienten?

Da gibt es keinen allgemeinen Rat. Es gibt Patienten, für die bin ich der richtige Arzt. Das merken im allgemeinen beide Seiten, so- fort. Es gibt Patienten, die sind sehr unzufrieden mit mir. Das merke ich dann hoffentlich und rate ihnen, sich einen anderen Arzt zu suchen. Es g ibt nicht den einen guten Arzt für alle. Die Arzt-Patient-Beziehung ist immer wieder etwas Individuelles, Einmaliges. Da kann man keine allgemeinen Ratschläge geben. Was beim einen Patienten gut ist, ist beim anderen falsch. Für den einen Patienten bin ich ein guter Arzt, für einen anderen nicht. Wenn ich überhaupt einen Rat geben darf, Ärzten und Patienten: authentisch sein!

Sie engagieren sich sehr für eine Medizin, die den Menschen in den-Mittelpunkt stellt – verzweifeln Sie nicht manchmal – weil alle Entwicklungen doch in eine völlig andere Richtung gehen? Oder gibt es – außer Ihnen – noch weitere Hoffnungsschimmer?

Ich sehe das auch, dass nahezu alle Entwicklungen in eine Richtung gehen, die eine humane Medizin immer mehr unmöglich macht.Noch ist mir das aber ein Ansporn. Verzweifelt bin ich nicht, höchstens angewidert. Dazu habe ich täglich zu viel Kontakt mit Patienten und ihren Angehörigen und kann immer wieder sehen, wie wichtig eine gute ärztliche Arbeit ist, wenn die Krise einer Krankheit über einen Menschen oder über eine Familie hereingebrochen ist. Warum also resignieren oder verzweifeln, meine Ziele aufgeben? Und ich kenne eine wirklich große Zahl von Gleichgesinnten, das hilft sehr. Auch wenn wir keine Macht haben. Gar keine.

Wenn Sie selbst in eine Klinik müssten – worauf würden Sie achten? Die fünf wichtigsten Kriterien?

Die Klinik dürfte nicht zu groß sein; sie sollte in der Nähe liegen; ich würde meinen Hausarzt nach seinen Erfahrungen mit dieser Klinik fragen; auch würde ich ihn fragen, ob er sich als Patient in diese Klinik begeben würde; ich würde bei der Aufnahmeuntersuchung in der Ambulanz auf das Betriebsklima und auf den Umgang mit mir achten.




Das Interview erschien im Buch von Constanze Kleis:
„Sterben Sie bloß nicht im Sommer“
224 Seiten, Hardcover, 19,99, Dumont-Buchverlag 2012,
ISBN 978-3-8321-9657-8

Wir bedanken uns bei Autorin und Verlag für die freundliche Nachdruckgenehmigung!







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