FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 23. Jahrgang, 1. Halbjahr 2013




Zumindest die Länder scheinen sich aber mit großer Erleichterung ihrer Kliniken zu entledigen. Es wird argumentiert, die öffentliche Hand könne sich diese hoch defizitären Betriebe einfach nicht mehr leisten. Die Privatwirtschaft dagegenmacht ordentliche Gewinne genau mit diesen Betrieben. Was machen die anders?

Es ist der gesellschaftlicheGrundkonsens, an den hier die Axt gelegt wird: Wollen wir ein solidarisches Gesundheitswesen als Teil unseres sozialen Systems behalten, in das wir einen Teil unseres Reichtums zum Wohle aller investieren, oder wollen wir zulassen, dass wir ein gewinnorientiertes Gesundheitswesen als Teil unseres Wirtschaftssystems zum Wohle Weniger anstreben, die für ihre Investitionen mit einer Rendite rechnen können? So kommt es zu unter-schiedlichen Sichtweisen, je nach-dem, wo ich konzeptionell, konfes-sionell oder politisch dazugehöre.

Sollte es nicht eigentlich Teil der staatlichen Fürsorgepflicht sein, für seine Bürger das Renditedenken gerade in diesem Bereich einmal außen vor zu lassen, ihn vor privatwirtschaftlichen Interessen zu schützen?

Das ist genau das Problem, nur in anderen Worten. Wenn Krankheit sich „rechnet“, ist das Gesundheitswesen eben kein Teil unseres Sozialsystems mehr. Der Nobelpreisträger Bernard Lown hat dazu einmal geschrieben: „Ein profitorientiertes Gesundheitswesen ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. In dem Augenblick, in dem Fürsorge dem Profit dient, hat sie die wahre Fürsorge verloren.“ Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Die Privatisierungen werden einem schmackhaft gemacht mit dem Argument,sie würden den Wettbewerb fördern, also die Dinge zum Besseren wenden. Ist das auch Ihr Eindruck?

Die Antwort scheint mir einfacher, als man glaubt, der Rhön-Klinikkonzern macht es in Marburg und Gießen gerade vor: Wenn man dem Gemeinwohl nicht verpflichtet ist, kann man unrentable Abteilungen schließen, kann man angelernte Aushilfskräfte auch auf Intensivstationen arbeiten lassen, kann man weit untertariflich bezahlen und das Ganze einen Notlagen-Tarifvertrag nennen, kann man sich Millionen-Subventionen erschleichen, um später dann die Verträge zu brechen (Stichwort „Partikel-Therapiezentrum“), und vor allem kann man so viele qualifizierte (teure) Angestellte entlassen, bis die Bilanz der Shareholder endlich stimmt – eg al was f ür eine Medizin dabei herauskommt. Wettbewerb hat in der Humanmedizin absolut nichts zu suchen. Wettbewerb kann es nur am Markt, bei Waren geben. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist keine Warenbeziehung. Die Humanmedizin wird durch Wettbewerb zerstört. Wenn Sie einen Herzinfarkt haben, schauen Sie dann in die Gelben Seiten? Und wen nehmen Sie dann? Den mit der schönsten Anzeige? Nein, Sie rufen den Notarztwagen (eine fantastische moderne Einrichtung) und müssen blind darauf vertrauen, dass Ihnen jetzt Gutes geschehen wird, dass Ihr Leben im Mittelpunkt steht und keine kardiologischen Renditen. Erstaunlich: Da, wo Wettbewerb gut wäre für die Allgemeinheit, bei Pharmaka, bei Hilfsmitteln, bei medizinischen Geräten, da allerdings wird er durch Korruption, Preisabsprachen, mangelnde Kontrolle und Lobbyismus zerstört.

Eines der schwierigsten Dinge für meine Familie und mich während der Krankheit meiner Mutter, war die Informationsbeschaffung. Ist das nicht überhaupt die größte Au-genwischerei bei der Idee, Medizin den Gesetzen des freien Marktes zu unterwerfen: Der Patient kann doch letztlich gar nicht vergleichen, weil ihm die Informationen und das Wissen nicht zugänglich sind?

Dass Patient und Arzt sich auf einer Augenhöhe bewegen, ist schlicht Unfug. Es ist und bleibt ein Abhängigkeitsverhältnis. Der Mensch „Patient“ muss sich in die Hand des Menschen „Arzt“ begeben, mitunter bedingungslos. Der Patient ist in Not, er braucht Hilfe. Oft hat der Patient überhaupt keine Zeit, sich zu informieren. Etwas anders ist das bei chronischen Krankheiten. Hier gibt es zum Beispiel die Selbsthilfegruppen, die enorm weiterhelfen können. Aber auch dabei gilt es, vorsichtig zu bleiben: Interessengruppen wie z.B. die Pharmaindustrie haben die Selbsthilfegruppen längst entdeckt, unterwandern und sponsern einige. Da ist dann wiederum das Internet sehr hilfreich, z.B. bei der Ärzteinitiative MEZIS (www.mezis.de) oder der Buko-Pharmakampagne (www.bukopharma.de)

Wir haben sehr oft erlebt, dass Ärzte kaum mit uns oder auch anderen Patienten sprechen. Dass sie beinahe erleichtert zu sein scheinen, wenn man sie nicht behelligt. Dass sie aber auch nicht zuhören. Kann man überhaupt als Arzt gut arbeiten, wenn man nicht zuhört, nicht reden will?

Nein, da kann man natürlich nicht gut arbeiten, das haben Sie ja jetzt selbst erlebt. Deswegen sind alle Bestrebungen, die Ausbildung der Ärzte in Hinblick auf die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern, so wertvoll. Aber wer nicht kommunizieren will, den können Sie ausbilden so viel Sie wollen, da wird nichts draus. Der schon zitierte Nobelpreisträger Bernard Lown hat dazu gesagt, dass es nicht nur die ärztliche Kunst gibt, sondern auch die Kunst des Patienten, die nämlich darin besteht, einen Arzt zu finden, dem man vertrauen kann und bei dem es einem leicht fällt, seine Klagen zu schildern.

Ein Tipp, wie man die ärztliche Aufmerksamkeit auf sich zieht?

Das kann ich eigentlich nicht beantworten. Ein Arzt ist eigentlich immer aufmerksam bei der Arbeit. Sonst kann er ja gar nicht arbeiten. Jetzt denken Sie vielleicht, da beißt sich die Katze in den Schwanz. Das stimmt. Aber wenn Sie etwas tun müssen, um die Aufmerksamkeit eines Arztes auf sich zu ziehen, außer krank zu sein, dann ist alles schon verloren. Wechseln Sie den Arzt, suchen Sie weiter.








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