FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 21. Jahrgang, 1. Halbjahr 2011




Der Mandelkern hat eine besondere Aufgabe im Stresserleben: Wann immer dieser tief unter der Hirnrinde im Schläferlappen gelegene Hirnkern Stressreize als bedrohlich bewertet, schlägt er Alarm und löst daraufhin – durch Aktivierung der sogenannten Stressachse (HPA-Achse) – eine hormonelle Stressreaktion aus. Dabei wird aus den Nebennieren vermehrt Kortisol in die Blutbahn abgegeben, worauf die Blutwerte des Stresshormons ansteigen. Und umgekehrt: Wenn sich der Stress dank Meditationsübungen verringert, so nehmen die Blutwerte des Stresshormons wieder ab. Offenbar ist dann der Mandelkern etwas weniger alarmiert und damit weniger beansprucht.

Stress und Stresshormone wirken manchmal wie Gift auf das Gehirn. Beispielsweise schädigen sie gewisse Nervenzellen im Hippocampus, einem entwicklungsgeschichtlich urtümlich und für das Erinnerungsvermögen besonders wichtigen Teil der Hirnrinde. Bei anhaltend erhöhten Werten von Stresshormonen kann der Hippocampus sogar regelrecht schrumpfen. Er regeneriert jedoch, wenn der Stress abgebaut wird und sich die Hormonwerte wieder normalisieren.

Genau dies ist anscheinend auch nach einem Training in Achtsamkeitsmeditation der Fall wie unlängst Britta Hölzel und ihre Kollegen im renommierten Wissenschaftsjournal Psychiatry Research berichteten. Jedenfalls führte das mentale Training dazu, dass die graue Substanz im linken Hippocampus zunahm, sich quasi verdichtete – vermutlich aufgrund neuer Verbindungen zwischen eng benachbarten Neuronen oder sogar neu gebildeter „grauer Zellen“.

Wie Britta Hölzels Studien zeigten, profitierten aber auch noch andere Hirnregionen von der Meditation – vermutlich, weil sie durch das intensive mentale Training etwas stärker in Anspruch genommen und aktiviert wurden. So verdichtete sich insbesondere die graue Substanz in der Hirnrinde des Limbischen Systems, genauer gesagt in der Gürtelwindung (singuläre Kortex), die sich an der (medialen) Innenseite einer Hirnhemisphäre befindet.

Verändert hatte sich aber auch die „Insula“ und das Kleinhirn. Waren vielleicht auch und gerade deswegen die wochenlang geschulten Meditierenden besser imstande, sich zu konzentrieren, ihre Emotionen zu kontrollieren und ihren „gefühlten Stress“ zu reduzieren?

Für die Verbesserung all dieser geistigen Fähigkeiten kann aber wohl kaum eine der genannten Hirnregionen für sich alleine verantwortlich sein. Vielmehr sei das sinnvolle Zusammenspiel der Hirn - areale erforderlich, meint Ulrich Ott. Und deshalb werden in der Zukunft wohl wichtige Aufgaben neurowissenschaftlicher Forschung darin bestehen, herauszufinden, wie Meditationstechniken die Verbindungen zwischen Hirnregionen beeinflussen. Die für solche Verbindungen benötigten Nervenkabel verlaufen aber größtenteils nicht in der grauen Substanz der Hirnrinde, sondern in der weißen Substanz, im Marklager des Gehirns.

Dank einer neuen Technik, der sogenannten Diffusions-Tensor-Bildgebung, ist es möglich, bei meditierenden Versuchspersonen nicht nur Veränderungen in den grauen, sondern auch in der weißen Substanz des Gehirns zu registrieren. Daraus könnten Rückschlüsse auf die Qualität der neuronalen Vernetzungen zwischen verschiedenen Hirnarealen festgestellt werden, berichteten unlängst Yi-Yuan Tang und Michael Posner im Wissenschaftsjournal Proceedings of the National Academy of Science.

Die Forscher im Institut für Neuroinformatik der Dalian University of Technology in China und dem Institut für Psychologie der University of Oregon hatten 22 Studenten untersucht, die jeden Tag 20 Minuten lang eine chinesische Meditationstechnik (IBMT, Integrative Body- Mind-Training) übten. Die Überraschung: Schon nach einem Monat fand das Forscherteam bei den Meditierenden eine markante Zunahme weißer Substanz in den neuronalen Verbindungen zum singulären Kortex. Dieses Areal der Hirnrinde ist maßgebend an der Regulation von Emotionen beteiligt.

Das Fazit: Die spirituellen, subjektiv erlebten Wirkungen einer Meditation lassen sich mit modernen neurowissenschaftlichen Methoden untersuchen und auf diese Weise objektivieren.



Der Autor:

Johann Caspar Rüegg ist emeritierter Professor für Physiologie. Er arbeitete an den Universitäten Cambridge, Oxford, und Heidelberg. Sein Buch „Gehirn, Psyche und Körper“ (Schattauer, Stuttgart 2010, 36,95 Euro) beschäftigt sich in der gerade neu erschienen 5. Auflage mit einer neurobiologisch fundierten Psychosomatik.



(Quelle: Frankfurter Rundschau vom 18./19. Dezember 2010)




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