FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 1. Halbjahr 2010





Die unsichere Zukunft und/oder die eingeschränkte Leistungsfähigkeit stellen weiterhin eine psychosoziale Belastung und einen Verlust der Lebensqualität des Individuums dar. Das Erscheinungsbild der Krankheit wird durch Stress zusätzlich negativ beeinflusst. Ein ganzheitliches Verständnis der Erkrankung betrachtet den Menschen nicht nur mit seinen körperlichen Defiziten. Vielmehr geht es hier um die Bedeutung der Gesamterkrankung, d.h. um die Bedeutung einzelner Symptome und deren Sinn für den Betroffenen. So gesehen stellt MS einen Lösungsversuch für psychische Probleme des Individuums dar. Es bedarf also anderer Umgangsformen mit der Krankheit MS außer und zusätzlich zu den herkömmlichen Therapien zur Behandlung eines Symptoms.

Stress- bzw. Krankheitsbewältigung ist bei der Krankheit MS sehr entscheidend. Sie dienen der Akzeptanz der Krankheit und der Aufrechterhaltung der Handlungskompetenz im Alltag. Die Bewältigungsformen für die chronische Krankheit MS zielen auf die Erhaltung des Selbstwertgefühls und der Erarbeitung von Sinn und Bedeutung der Krankheit für das Individuum sowie der Entwicklung eines Kontrollgefühls über den weiteren Krankheitsverlauf. Durch diese Art der Krankheitsbewältigung konnte der Fortlauf der Erkrankung positiv beeinflusst werden. Das Gesundheitsmodell der Resilienz untersucht dabei die Frage, welche Eigenschaften und Fähigkeiten das Leben eines Menschen nicht beeinträchtigen. Hier geht es um die Prozesse und Phänomene, die trotz Risikofaktoren zu einer resilienten Entwicklung führen. Die Salutogenese ist ein weiteres Gesundheitsmodell. Es wurde von Aaron Antonovsky entwickelt und möchte herausfinden, wie ein Mensch weniger krank und dafür mehr gesund wird. Die dafür verwendete Grundhaltung, das Kohärenzgefühl, des Menschen entscheidet darüber, wie gut er seine Ressourcen zur Gesunderhaltung und zum Wohlbefinden nutzen kann. In der Salutogenese sind vor allem individuelle Eigenschaften zur effektiven Problembewältigung entscheidend.

Empowerment bemüht sich um die (Wieder-)Gewinnung von Stär23 FP 1–2010 Biographieforschung ke, Energie und Phantasie zur Lebensgestaltung. Hierfür ist es notwendig, dass das Individuum sich selbst organisiert und ein autonomes Leben führt, um seine Stärken und Fähigkeiten zu fördern. Dabei vertritt das Empowerment-Konzept ein optimistisches Menschenbild und nimmt den Menschen als Subjekt wahr, das seine Lebenswelt aktiv und produktiv gestalten kann. Auf diese Weise entwickelt sich die Persönlichkeit des Menschen und das Vertrauen in seine Stärken und Potenziale wird gefördert. Mit dem Empowerment-Training der Stiftung Lebensnerv soll dem MSkranken Menschen mehr Selbstbestimmung und Verantwortung für sein Leben gegeben werden. Damit wird die Handlungskompetenz zwischen den beiden Polen der eigenen Bedürfnisse und Kompetenzen einerseits und Bevormundung andererseits gesteigert.

Der empirische Teil der Arbeit benutzt einen Fragebogen für die Teilnehmer des Empowerment-Trainings im Jahr 2007, der, nachdem er ausgefüllt zurückgeschickt, ausgewertet wurde. Die Auswertung erfolgte mit den Instrumentarien der empirischen Sozialforschung. In der vorliegenden Arbeit erfasste der Fragebogen persönliche Daten, Informationen über die Erkrankung und die Diagnose sowie Erfahrungen zum Empowerment- Training. Die Auswertung der Fragebögen ergab, dass die Teilnehmer durch das Training ihre Lebensqualität und die Handlungskompetenz verbessern konnten. Die Unsicherheit des Lebens durch den Eintritt der Krankheit MS, die sich in Verlust des Ehepartners, Beendigung der Arbeit, sozialem Rückzug, der Unsicherheit des Krankheitsverlaufes und den körperlichen Symptomen äußert, kann mit dem Empowerment-Training aufgehalten und teilweise sogar umgekehrt werden.

Neue soziale Kontakte entstehen und der Austausch mit anderen Betroffenen vermittelt ihnen ein Gefühl des „Nichtalleinseins“. Durch die Auseinandersetzung mit ihrem Körper innerhalb des Empowerment- Trainings erlernten die Betroffenen ein neues Bewusstsein für sich und ihren Körper. Sie nahmen ihre Bedürfnisse und Wünsche wieder wahr und entwickelten Vertrauen in ihre Stärken. Die Befragten erlangten wieder Mut und Sicherheit für ihr Leben und konnten ihr Leben wieder mit Freude gestalten. Die Betroffenen waren alle sehr zufrieden mit dem Empowerment- Training und konnten ihre Lebenssituation verbessern.

Die zunehmende Anzahl der MS-Erkrankten und die immer noch unklare Ursache der Krankheit, vor allen Dingen aber die Empfehlungen der befragten Personen lassen ein Empowerment- Training für MS-Betroffene sinnvoll erscheinen. Es dient sowohl Neuerkrankten dazu, einen Weg mit der Krankheit zu finden, aber auch Personen, welche die Krankheit schon länger haben, können mit dem Empowerment-Training ihr Leben überdenken und verbessern. Anzustreben ist nach der Auswertung der Fragebögen ein regelmäßig stattfindendes Training, durch das sie fern vom Alltag wieder an ihre Bedürfnisse erinnert werden.


Stellungnahme

Durch die Auswertung der Fragebögen der Teilnehmer des Empowerment- Trainings 2007 konnte ich erfahren, dass ihre Erlebnisse und Auswirkungen auf das eigene Leben mit meinen übereinstimmen. Hervorheben möchte ich auch das gewachsene Selbstvertrauen und das damit einhergehende Selbstbewusstsein. Auch ich bin für eine regelmäßige Auffrischung des Erlernten, um es nicht wieder zu verlieren, sondern es im Gegenteil alltäglich werden zu lassen.


Ute Carolin Pfeiffer: Biographieforschung von Menschen mit Multipler Sklerose unter Berücksichtigung von Empowerment.

Diplomarbeit an der Justus-Liebig- Universität Gießen, Institut für Erziehungswissenschaft, Systematische/ Vergleichende Erziehungswissenschaft, Gießen Juli 2009

Ein Kontakt zur Autorin ist über die Redaktion von FORUM PSYCHOSOMATIK möglich.






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