Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/08

Aufruf: „Ihre Erfahrung zählt!“

Wir suchen Menschen mit Multipler Sklerose und Migrationshintergrund


Nach Angaben des AOKBundesverbandes leben fast 20 Prozent aller BundesbürgerInnen mit einer chronischen Erkrankung. Dies sind etwa Diabetes, Krebs, koronare Herzerkrankungen, Asthma, Allergien, Rheuma, Epilepsie, Multiple Sklerose, etc. Multiple Sklerose ist dabei eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, die Zahl der Personen mit MS in Deutschland wird von der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft (DMSG) auf ca. 120.000 geschätzt, das bedeutet, dass etwa 1– 2 Menschen je tausend EinwohnerInnen mit der Diagnose MS leben. Etwa ein Drittel sind männlich, zwei Drittel weiblich.

Chronische Krankheiten sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Ursache für ca. 83 Prozent aller Schwerbehinderungen. Alle Menschen mit einer chronischen Erkrankung/Behinderung erfahren bei der Diagnosestellung eine tiefe Erschütterung der gesamten Identität. Im weiteren Verlauf der Erkankung/des Lebens mit Behinderung müssen sie sich mit wechselnden, meist abnehmenden körperlichen Fähigkeiten auseinandersetzen und sich und ihr Leben entsprechend anpassen. Damit bleiben die Betroffenen weitgehend alleine und fühlen sich häufig minderwertig, manchmal sogar wertlos. Selbsthilfegruppen können in dieser Situation helfen, doch das System der deutschen gesundheitsbezogenen Selbsthilfe ist für die in Deutschland lebenden rund 15,3 Millionen Frauen und Männer mit Migrationshintergrund noch nicht so hilfreich, wie es sein könnte.

Neben sprachlichen Barrieren spielt auch die Bedeutungszuweisung von Krankheit und Behinderung in anderen Kulturkreisen eine Rolle (siehe dazu auch den Beitrag in dieser Ausgabe „Von erkälteten Köpfen und geplatzten Gallenblasen“). So wird eine Erkrankung oft zunächst versteckt und schamhaft verborgen. Wenn sich eine Behinderung nicht mehr übersehen lässt, ist Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben eine häufige Reaktionsweise.

Bringt man die Zahlen des Mikrozensus 2005 und die Angaben zur Häufigkeit von MS in einen Zusammenhang, so ist davon auszugehen, dass es allein in Berlin ca. 1.200 MS-Betroffene (ca. 400 Männer und 800 Frauen) mit Migrationshintergrund geben muss (in Deutschland etwa 23.000). Neben Personen aus den EU-Mitgliedsstaaten sind dies vor allem Personen mit Migrationshintergrund Türkei, Ex-Jugoslawien, Polen, Russland/Ukraine, Vietnam und Libanon.

Die Betroffenen fühlen sich häufig minderwertig und werden von ihren Familien zwar versorgt, aber gleichzeitig versteckt und nicht mehr als vollwertig akzeptiert. Davon betroffen sind insbesondere die Frauen mit Migrationshintergrund, die noch weniger als Männer die Chance haben, sich aus dem traditionellen Wertesystem ihrer Herkunftsfamilien zu lösen. Frauen mit Migrationshintergrund ohne chronische Krankheit/ Behinderung können schon häufig kein selbstbestimmtes Leben führen – für chronisch kranke/ behinderte Frauen mit Migrationshintergrund ist es fast unmöglich. Dementsprechend besteht ein großer Beratungs- und Unterstützungsbedarf. Ein Angebot an interkultureller Unterstützung wird bisher jedoch kaum vorgehalten. Und dort, wo es vorhanden ist, erfolgt die Unterstützung vorwiegend durch nichtbetroffene Fachleute, meist ÄrztInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen oder SozialarbeiterInnen ohne Migrationshintergrund.

Die bisherigen Erfahrungen belegen jedoch auch, dass mit den klassischen Beratungsstellen und Beratungsangeboten (stationäre Beratung) die Zielgruppe nicht oder nur sehr schlecht zu erreichen ist, sodass neue und wirkungsvolle Angebote entwickelt werden müssen, die von den Betroffenen auch akzeptiert werden. Es bietet sich daher an, spezielle gesundheitsbezogene und interkulturell ausgerichtete Angebote für und mit chronisch kranke/n und behinderte/n Menschen mit Migrationshintergrund zu entwickeln, die auch ihren Lebenswelten entsprechen und ganzheitlich und ressourcenorientiert angelegt sind.

Um die Einstellungen und Erwartungen an interkulturell ausgerichtete Angebote der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe genauer kennen zu lernen, suchen wir deshalb Menschen mit Migrationshintergrund sowie der Diagnose MS, die in Berlin leben, um mit Ihnen ein Gespräch (in Deutsch oder einer anderen Sprache) zu führen.


Bitte wenden Sie sich an:

Stiftung LEBENSNERV
H.- Günter Heiden
Krantorweg 1
13503 Berlin
Tel.: 030/436 35 42
email:lebensnerv@gmx.de




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