Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 1/08 |
Professor Dr. med. Dieter Janz war Schüler Viktor von Weizsäckers, dem Begründer der modernen Psychosomatik. BERLINER ÄRZTE sprach mit Janz über den Einfluss Weizsäckers auf die aktuelle Medizin, über das Arzt-Patienten-Gespräch und über die Widerstände vieler Ärzte gegenWeizsäckers Modelle.
Das war im Juni 1945. Ich war 25 Jahre alt, hatte das Staatsexamen schon hinter mir und war in Hamburg. In Eppendorf absolvierte ich mein halbes Jahr Pathologie, unbezahlt natürlich. Vom Hamburger ASTA wurde ich nach Heidelberg geschickt, um in Erfahrung zu bringen, warum die Heidelberger Universität sich schon hatte öffnen können, während die Hamburger Universität noch geschlossen war. Von Freunden habe ich in Heidelberg von Alexander Mitscherlich gehört. Ich besuchte ihn, und wollte nun in die Innere Medizin gehen. Mir begegnete ein junger, sich elastisch bewegender und leicht von amerikanischem Flair umwehter, lebhafter, geistig anregender Mensch. Ihm sagte ich, dass ich mir einen Lehrer suchen möchte. Mitscherlich sagte, der einzige Lehrer, von dem er sich wirklich eine Erneuerung der Medizin verspreche, sei Viktor von Weizsäcker, der aber noch in amerikanischer Gefangenschaft sei. Dann erzählte er mir von Weizsäcker als einem geistigen Mediziner. Ein Neurologe, der nicht nur vom Internismus herkommender Naturwissenschaftler sei, sondern auch tiefenpsychologisch denke und der den Arztberuf als eine geistige Aufgabe ansehe. Ich fragte ihn, wer diese Aufgabe während seiner Abwesenheit weitertrage. Und Mitscherlich nannte mir Paul Vogel, Professor für Neurologie in Heidelberg, ein Schüler von Weizsäcker. Zu dem bin ich dann auch gegangen. Gegangen ist gut gesagt, das war ja nicht so einfach.
Es war so, dass von Weizsäcker einmal in der Woche abends gegen sechs Uhr eine Vorlesung im großen Hörsaal in einer uns benachbart liegenden Klinik hielt. Wir haben uns darauf immer gefreut. Wir, das waren einige Assistenten der Neurologischen Abteilung. Viktor von Weizsäcker regte uns unglaublich an. Er stellte uns in seiner Vorlesung einen kranken Menschen vor. Das begann immer mit einem sehr lockeren, zugleich aber sehr konzentrierten Gespräch mit dem Kranken. Die Fragen riefen oft ganz erstaunliche Reaktionen und Antworten bei dem Patienten hervor, die nicht bloß das zeigten, was man auf der Fieberkurve notierte. Viktor von Weizsäcker fragte so einfach, schlicht und offen, dass man als Zuhörer frappiert war, was dabei herauskam: „Was führt sie zu uns, erzählen Sie mal!Wie hat das angefangen? Was ist das für eine Krankheit? Was glauben Sie, wo das herkommt?“ Von Weizsäcker hat das Medizinische im engeren Sinne dabei nie vergessen, denn er hat auch erläutert, was die Fieberkurve und die anderen medizinischen Daten wie der Urin oder das Blut oder die Leber sagten. So, dass man ein klares medizinisches Bild von der Krankheit hatte. In der darauf folgenden Vorlesung hat er dann über diesen Kranken gesprochen und die Krankengeschichte vertieft. Das war im Grunde eine ganz konventionelle Krankenvorstellung, aber das Erstaunliche war, was bei dem Gespräch herauskam, das er mit dem Kranken führte.
Es ging eben nicht nur um die rein medizinischen Fragen. Der Kranke ließ sich ansprechen. Er sagte Dinge, die man nie erfahren hätte, wenn man ihn nicht auch so teilnehmend danach gefragt hätte. Von Weizsäcker stellte immer ein besonderes Problem heraus. Also zum Beispiel die Frage, warum der Mann gerade zu diesem Zeitpunkt krank geworden ist. Jahrelang war er gesund gewesen, aber gerade jetzt wurde er krank.
Diese Frage stellte er auch dem Patienten: „Warum haben Sie gerade jetzt eine Angina bekommen?“ Da gab es dann zum Teil sehr abwehrende Äußerungen wie etwa „Das weiß ich nicht“ oder „Da muss ich mich wohl erkältet haben“. Von Weizsäcker fragte, mit einem „So?!“ oder „Meinen Sie?“ nach. Durch diese knappe Rückfrage brachte er den Kranken zum Nachdenken. „Na ja, es war nicht mehr alles in Ordnung“, erwiderte dann der Patient. „So?“, fragte von Weizsäcker wieder zurückhaltend und fordernd zugleich. Und plötzlich fing der Kranke an, eine Geschichte zu erzählen. Diese Geschichte ließ von Weizsäcker dann laufen. So kam heraus, dass der Kranke erzählend sehr viel mehr von seiner Krankheit wusste. Er gab wichtige Hinweise über sein Kranksein. Aber es kam eben erst heraus, wenn es erfragt und hervorgelocktwurde.
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