Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/07

Ich komme nun zu den quantitativen Ergebnissen meiner Forschungsarbeit.

Zwischen der Therapiegruppe und der Kontrollgruppe fand ich keine signifikanten (also deutlichen, nicht durch Zufall zustande gekommenen) Unterschiede in den standardisierten Fragebögen. Es gab jedoch einige signifikante Veränderungen im zeitlichen Verlauf für die Therapiegruppe.

Im Folgenden werde ich Ihnen das an zwei Skalen genauer zeigen. Als erstes sehen Sie hier die Veränderungen der Depressionswerte im Beck-Depressions-Inventar.

Je höher die Werte an der linken Seite, umso depressiver sind die TeilnehmerInnen. Die durchgezogene Line steht für die Therapiegruppe, die gestrichelte Linie steht für Kontrollgruppe. Die Ausgangswerte beider Gruppen (Messzeitpunkt U1 vor Therapiebeginn) liegen im Bereich einer milden bis mäßigen Depression (13,8 und 10,4).Während dieWerte für die Therapiegruppe nach dem ersten Therapieblock (Messzeitpunkt U2) initial deutlich zurückgehen und unauffällig werden (<11 Skalenpunkte), zeigt die Kontrollgruppe anfänglich kaum Bewegung. Im weiteren Verlauf steigen und fallen die Werte beider Gruppen in einer parallelen Auf- und Abbewegung: zum Zeitpunkt U3 im Herbst 2002 nimmt die Depression in beiden Gruppen zu, und fällt im Dezember 2002 (U4) wieder ab, wobei es in der Therapiegruppe mit einem P-Wert von p=0,04 zu einem signifikanten Rückgang der Depression zwischen U1 und U4 kommt.

Ein halbes Jahr nach Abschluss der Studie (Follow-up Erhebung U5) verschlechtern sich die Werte in beiden Gruppen im Vergleich zum vorhergehenden Messzeitpunkt. Verglichen mit den Ausgangswerten (U1) führt dies insgesamt gesehen bei der Kontrollgruppe zu einer Erhöhung der Depressionswerte und zu geringeren Werten bei der Therapiegruppe im Vergleich zum Messzeitpunkt U1.

Bei der Skala zur Erfassung der Selbstakzeptanz (SESA) geht es um die Frage, wie jemand mit sich und seiner augenblicklichen Situation zurecht kommt, sich selbst akzeptieren kann.

Bei der Eingangsuntersuchung (U1) liegen Therapie- und Kontrollgruppe mit Werten von 107 bzw. 109 Punktwerten im mittleren Bereich hinsichtlich ihrer Selbstakzeptanz. Nach einem Anstieg der Selbstakzeptanz in beiden Gruppen von U1 nach U2 bleibt diese bis zum letzten Untersuchungszeitpunkt U5 in der Kontrollgruppe nahezu unverändert, während die Werte in der Therapiegruppe zwischen U3 und U4, also nach dem ersten und zweiten BlockMusiktherapie, mit einem P-Wert von p=0,01 signifikant ansteigen und mit 122 Punkten den Durchschnittswert der Bevölkerung insgesamt hinsichtlich der Selbstakzeptanz erreichen.

Nach Abschluß der Musiktherapie (Follow-up Erhebung U5) fällt der Wert auch für die Therapiegruppe wieder auf das Ausgangsniveau zurück. Dieser deutliche Rückgang von U4 nach U5 spricht – wie schon bei den Depressionswerten – meines Erachtens für eine regelmäßige musiktherapeutische Betreuung von Menschen mit MS, wie sie auch für andere Therapie wie die KG oder Ergotherapie üblich sind.

Ich komme zu den Aussagen der TeilnehmerInnen zur Musiktherapie: Neun von ihnen betonen im abschließenden Interview, dass es für sie in der Musiktherapie wichtig war, selbst aktiv sein zu können. Alle zehn TeilnehmerInnen berichten von einer unmittelbaren Verbesserung ihrer Befindlichkeit während der Therapie. Bei acht von ihnen hielt diese auch länger an und wurde von Freunden oder Partnern bestätigt.

Sieben TeilnehmerInnen schildern, im Therapieverlauf eine positivereWahrnehmung von sich und wachsendes Selbstvertrauen zu sich bekommen zu haben. Sie können sich immer besser von der entstehenden Musik und von bisher nicht gekannten Fähigkeiten überraschen lassen. Stichwort: „Seinen Körper positiv erleben“.

Die Musik und Musiktherapie werden insgesamt als „etwas Mobiles“ erlebt, das die Beschäftigung mit der Erkrankung in den Hintergrund rückt, und zum Ausdrucksmittel für Gefühle von Geborgenheit, Freiheit und Spaß wird. Berührt werden also auch Themen abseits der Krankheitssymptome und der Beschäftigung damit.

Diese subjektiven Einschätzungen der TeilnehmerInnen sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den Ergebnissen der Studie, da sie Parallelen zwischen den Erlebnissen in der Musiktherapie und den Verbesserungen der Depressionsund Selbstakzeptanzwerte zeigen.

Ich komme damit zur Zusammenfassung und zum Ausblick. Zu den drei Ausgangsfragen kann ich sagen:

1. Im Rahmen der Studie können signifikante Verbesserungen bei der Therapiegruppe im zeitlichen Verlauf in den Depressions- und Selbstakzeptanzskalen gemessen werden. Damit liefert diese Studie Ansatzpunkte für weiterführende zum Beispiel multizentrische Studien mit größeren Gruppen.

2. Die qualitative Auswertung zeigt, dass ein künstlerischer Therapieansatz den Blickwinkel für die Bedürfnisse von Menschen mit MS erweitert und macht deutlich, dass ein umfassendes Behandlungsangebot nicht ausschließlich von funktionalen Erwägungen ausgehen darf. Musiktherapie setzt darauf, dass Menschen mit MS im Dialog Zeit und Raum bekommen, um ihre kreativen Fähigkeiten und Stärken für ihr Leben zu entdecken und zu nutzen.

3.Musiktherapie leistet damit einen elementaren Beitrag zur psychosozialen Betreuung und unterstützt Menschen mit MS in einer aktiven Krankheitsverarbeitung. Mit dieser Arbeit ist ein Grundstein dafür gelegt, dass ein aktives, künstlerisches Musiktherapieangebot – durch weitere Forschung und Praxis flankiert – Teil eines ganzheitlichen Versorgungskonzeptes für Menschen mit MS werden kann.

Ganz herzlichen Dank zuerst allen TeilnehmerInnen der Studie. Ohne Eure Bereitschaft, Ausdauer und Euer Vertrauen wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Mein Dank gilt auch meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen für die Unterstützung. Ein herzliches Dankeschön auch an die Stiftung LEBENSNERV, Frau Dr. Arnade, Herrn Heiden und Herrn Dr. Bade für die Wertschätzung, die sie damit meiner Arbeit entgegenbringen. Der Preis ist auch für meine Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Musiktherapie und vom Lehrstuhl für Qualitätsforschung in der Medizin ein wichtiges und motivierendes Signal!
Nochmals ganz herzlichen Dank!

Kontakt
Dr. Wolfgang Schmidt
Private Universität Witten/Herdecke gGmbH
Alfred-Herrhausen-Straße 50
58448 Witten
Email:wschmid@uni-wh.de

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