Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/05

Von heilenden Worten und Killersätzen


RINK Vorteile einer kommunikativen Kompetenz für den Professionellen
Bei unserem Gespräch blieb für mich die Frage offen, ob es erforscht ist, welchen Gewinn ein
Profi aus einer optimierten Gesprächsführungskompetenz ziehen
könnte und fand einen Hinweis in einem Referat von GEISLER.
Eine gute kommunikative Kompetenz erhöht nicht nur die Zufriedenheit des Patienten, sondern
auch die des Arztes. Linus S. Geisler beschreibt in seinem Referat anlässlich des Ethik-Symposiums
2003 in Bochum, dass gut geschulte Ärzte fähig sind, die Probleme ihrer Patienten genauer zu
identifizieren. Es sei erwiesen,dass für Ärzte mit hoher Gesprächsführungskompetenz:

• die subjektive Belastung durch
die Krankheit ihrer Patienten geringer
ist
• die Stressbelastung durch den
Beruf als niedriger empfunden
wird
• die berufliche Zufriedenheit
wächst und
• die Neigung zu Depressionen
und Ängsten abnimmt.

KADAUKE Die Befürchtung von Ärzten/Beratern, sie würden zu sehr belastet mit den Themen und
Ängsten der Patienten, wenn sie sich auf die emotionale Seite einlassen,
diese Befürchtung erscheint also unrichtig. Es scheint eher so, dass die Abwehr dieser
Betroffenheit mehr anstrengt und belastet als die Zuwendung.

KADAUKE-RINK Schlusswort

Wie können wir nun Killersätze vermeiden und „heilende Worte“
finden? Konventionelle Sätze, schon so oft gesprochen, wie: „das berührt mich sehr, ich bin betroffen…“
– sie sind es sicher nicht. Sie sind bekannt, können abgerufen und produziert werden ohne
die Seele dahinter zu rühren (im passiven wie aktiven Sinn). Die erworbene
Gesprächsführungskompetenz ist wichtig, aber sie könnte zu glattgebürstet sein im Angesicht
von Problemen/Ängsten/Leiden, die quer stehen zu unseren Wünschen und Ansichten vom Leben.
Es gilt schon seit alters die Rhetorik als die Kunst der Überredung, als die Kunst, Sprache zur
Erzielung beabsichtigter, kalkulierbarer Ergebnisse einzusetzen. Ist es möglich, Rhetorik – also gekonnte
Sprache – für das Gespräch mit von einer chronischen Krankheit Betroffenen zu erlernen?
Wo es die Vermeidung von Killerphrasen betrifft, da vielleicht.
Wir können wohl lernen, einander mit Worten nicht zu verletzen, wir kennen den Sinn von „Ich-Aussagen“
oder den Unsinn von „Ausfragen“ – wir können Kompetenz erwerben, insbesondere, indem
wir HÖREN, wenn uns unsere Gesprächspartner ihre Seite, ihr Denken, ihr Fühlen mitteilen.

Können wir auch heilende Worte lernen? Alles, was erlernt ist, hat das Problem der Routine:
Wer routiniert ist, kann zeigen: Ich habe Erfahrung damit – und das schafft bei meinem Gegenüber
Vertrauen und Anerkennung und die Vorstellung: „sie ist kompetent“
– aber es fördert auch die misstrauische Frage „Nimmt sie mich wichtig, lässt sie sich durch mich
berühren?“
In Situationen, in denen die Wirkung davon abhängt, dass man an der Wahrhaftigkeit der
Worte nicht zweifelt, ist es wichtig, gerade nicht den ausgetretenen Pfad der Routine zu verfolgen.
Heilende Worte, Worte die gut tun, die gerade in diesem Augenblick passen und über Jahre in der
Erinnerung transportiert werden, solche Worte können nicht geplant oder erlernt werden, zu komplex
und wenig beschreibbar sind die Umstände, die einer Begegnung Echtheit und „Dichte“ verleihen.
Der Boden für die Worte sind Echtheit und persönliches seelisches Engagement auf beiden
Seiten. Beabsichtigte Ergebnisse, erwünschte Wirkungen von Worten können stören. Etwas auszudrücken
– Zuwendung und Teilnahme – und dabei gleichzeitig den Eindruck beim Gesprächspartner als
Ziel zu haben, ihn also beeinflussen zu wollen – dieser „Hintergedanke“
stellt die Zuwendung und Teilnahme in ein schiefes Licht. Die Worte werden mehrdeutig und unklar.
„So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt“ (Goethe) Befangen in den Hintergedanken
sind wir nicht frei in der Begegnung – und der Gesprächspartner bemerkt dies.
Also wünschen wir uns, unbefangen zu sein.

RINK So unbefangen wie der kleine Junge, den ich im Kaufhaustraf. Er baute sich vor mir auf,
stemmte seine Händchen in die Hüften und fragte: „Warum durftest Du Dein Fahrrad, (er meinte
meinen Rollstuhl) , mit hier reinnehmen?“

KADAUKE Nicht in dieser Weise natürlich, denn Erfahrungen und Kenntnisse über Menschen und Beziehungen
zu ihnen haben uns vorsichtig und um-sichtig gemacht, aber doch soweit, dass der
Blick für das Gegenüber frei ist. Es geht ums Anteilnehmen – sagt Ruth COHN, die Begründerin der themenzentrierten
Interaktion. Wenn wir Anteil nehmen und damit Anteil von uns geben, sind noch
lange keine Worte gesagt, doch die aus dem Anteilnehmen folgen, sind vielleicht manchmal „verbal
unzulänglich“ – aber echt.



* Vortrag, gehalten auf dem Symposium
zur Preisverleihung der
Stiftung LEBENSNERV am 23.
April 2005 in Berlin (redaktionell
bearbeitet)




Literatur

Böker, W.: Arzt-Patient-Beziehung: Der
fragmentierte Patient
. Deutsches Ärzteblatt
100, 06.01.2003

Bohm, D.: Der Dialog. Das offene Gespräch
am Ende der Diskussionen,
Stuttgart
1998 (englisch 1996)

Borgetto, B. : Therapieentscheidungen
mit dem Patienten
, Vorlesung zur Medizinischen
Soziologie /Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Cohn, R./ A. Farau: Gelebte Geschichte
der Psychotherapie
, Stuttgart 1995

Geisler, L. : Arzt und Patient – Begegnung
im Gespräch
, Frankfurt 2002

Geisler, L. : Kommunikation bei der
Patientenvisite – Ausdruck unserer
ethischen Werthaltung
. Referat beim
Ethik-Symposium „Wirtschaftlichkeit
oder Menschlichkeit – Ethik im Klinikalltag
zwischen den Stühlen“ am 14. März 2003, Bochum

Scheibler, F.: Shared Decision-Making,
Bern 2004

Ziegeler, G. und Friedrich, H.: Multiple
Sklerose – das einzig Sichere an ihr ist
ihre Unzuverlässigkeit
. Verlag für Akademische
Schriften, Frankfurt 2002







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