Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/05


Von heilenden Worten und Killersätzen


Die Bedeutung der Kommunikation zwischen Professionellen und Menschen mit MS*

Ein Wechselgespräch zwischen Dr. Amei Kadauke und Harriet Rink


KADAUKE-RINK Heilende Worte und Killersätze – zwischen tief Kränkendem und Wohltuendem
erstreckt sich die Wirkung von Worten. Gesprochene Worte geraten oft in Vergessenheit, aber
die, von denen wir sprechen wollen, sind Worte, die uns selbst oder den von uns Befragten noch
jahrelang in den Ohren klangen, gefärbt mit Farben von verschiedensten Gefühlen.
Wir wollen von unserem Dialog erzählen, dem Dialog, den wir seit einigen Jahren führen, seitdem wir
gemeinsam Gesprächsgruppen und Fortbildungsangebote für MSBetroffene, zu Zeiten auch für ihre
Angehörigen, leiten.
Wir wollen zunächst einige Beispiele aufgreifen, die schildern,
was sich Menschen, Betroffene, Professionelle mit der Erkrankung, und außenstehende Professionelle
sagen, insbesondere aber, was sie hören. Es sind Beispiele aus unserem Leben selbst oder Erfahrungen
von Menschen, die wir befragt haben. – Dabei können wir beleuchten, wie es den Sprechenden
und Hörenden geht – wie sie sich fühlen. Wir werden dann jeweils gemeinsam einige dieser
wiedergegebenen Sätze und Gefühle versuchen zu interpretieren – was ist ihnen zu entnehmen, wie
sind sie zu verstehen?

RINK Worte treffen eine MS-Betroffene
„Wenn Sie so weitermachen, sind Sie in 10 Jahren tot!“ - Das ist 20 Jahre her und ich lebe noch, vielleicht auch deshalb, weil es
Menschen gab, die mir Mut machten wie zum Beispiel mein Hausarzt in der Eifel: „Sie schaffen das
und ich helfe Ihnen dabei!“
In diesen 20 Jahren bin ich über sehr viele Sätze gestolpert, die mir
weh getan, die mich verunsichert haben. Sätze wie: „Seien Sie froh, dass es heute Cortison gibt, sonst
wären Sie jetzt tot“ oder „Ihnen geht es doch gut, Sie können ja noch laufen.“
Doch da waren auch die Worte, die mir Kraft gegeben haben, neue Ziele ins Auge zu fassen,
die mir zeigten, Du bist nicht allein. Über Fleurop bekam ich einen großen Blumenstrauß ins
Krankenhaus gebracht und es steckte ein kleiner Zettel drin. Auf ihm standen folgende Worte: „Für
mich bist Du die mutigste Frau der Welt! Deine Amei.“
Es gibt sicherlich mutigere Menschen, doch dieser Satz tat einfach nur gut.
Bei den Mutigen denke ich an die vielen MS-Betroffenen, denen ich im Laufe meiner Erkrankung
begegnet bin, die den Mut hatten, über ihre Kränkungen und Verletzungen zu sprechen. So
wie bei einem Seminar, auf dem ich vor kurzem war und bei dem es inhaltlich um „Gesprächsförderer
und Gesprächsstörer“ ging, wurden mir viele Sätze mit auf den Weg hierher gegeben.
„Gehen Sie nicht in eine MSSelbsthilfegruppe, da sehen Sie nur Ihre Zukunft.“ – „Schaffen Sie
sich noch ein Kind an, dann wird alles gut!“ – „Mit dieser Krankheit können Sie sich das abschminken,
außer Pflegen ist da nichts mehr drin.“
Die hilfreichen Worte waren nicht so zahlreich, aber es gab
auch diese: „Wenn es Ihnen besser geht, freue ich mich mit Ihnen.“ „ Wir werden alles machen, damit
es Ihnen besser geht.“ „Sie sind der Experte für Ihre Krankheit, und Sie wissen, was Ihnen gut tut.“


KADAUKE Wie könnten wir diese Sätze deuten? Was könnte es heißen, wenn man sagt: Ihnen geht es
doch gut, Sie können ja noch laufen. Was könnte das Gegenüber – vermutlich ein Arzt – meinen? Sind
das dann Gedanken wie: Ich stelle gerade Vergleiche an, denke an andere Patientinnen, wo ich keine
Medikamente, keine Therapie kannte, um ihnen zu helfen. Hilflos musste ich zusehen. Ich möchte mir
die Ängste, die diese Patientin hat mit ihrer Prognose, gar nicht ansehen.
Ich kann ja nichts ausrichten. So wehre ich ab: es geht doch noch gut, warum also weiterdenken….“
Und von Seiten der Patientin - sind es vielleicht solche Gedanken: „Hier sieht einer meine Zukunft
schon vorprogrammiert, mich auf der geraden Bahn zu immer schlimmeren
Symptomen. Er glaubt nicht dran, dass es besser werden kann. Das kränkt mich.“
Wäre das aus den beiden Blickwinkeln so verständlich?

RINK Eine interessante mögliche Sichtweise, dennoch stehe ich zu diesem Beispielsatz anders. Abgesehen
davon, dass ein vorsichtiger, beziehungsweise sensibler Umgang mit dem Wort „noch“
wünschenswert wäre, ärgert mich an der Aussage, dass die Sorge des Augenblickes nicht wahrgenommen
wird. Ich weiß auch, dass es Menschen gibt, denen es schlechter geht, auch weiß ich,
dass die Unfähigkeit zu gehen, eine mögliche Variante der MS sein kann.
Doch – woher weiß mein Gegenüber, dass es mir gut geht? Vielleicht habe ich gar keine Angst
vor dem Rollstuhl, sondern werde mit meinen ständigen Schmerzen nicht fertig. Mich persönlich stört
die Bewertung meines subjektiven Befindens. Außerdem höre ich den
Appell: „Stell Dich nicht so an!“Ich wünsche mir von meinem Gegenüber einfühlendes Verstehen, dabei
kann seine Sichtweise durchaus eine andere sein als meine.






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