Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/03

Leib, Seele und Sprache

Die AG Psychoneuroimmunologie der MS
an der Uni Hamburg


von Christoph Heesen

„Stress macht krank“ und „Glauben ist die beste Medizin“ - diese Volksweisheiten sind uns allen bestens bekannt. Vielleicht haben wegen dieser Allgemeinplätze WissenschaftlerInnen bis vor kurzem das Konzept von sich gewiesen, dass Gefühle Erkrankungen beeinflussen und Erkrankungen unsere emotionale Gesundheit. Und dabei geht es um nicht weniger als die Einheit von Leib und Seele. Diese Verbindungen mit Instrumenten der Naturwissenschaft näher zu beschreiben,
ist ehrgeiziger Gegenstand der Psychoneuroimmunologie (PNI). Dabei geht es insbesondere um die Wechselwirkungen zwischen Psyche, Hormonen und dem Abwehrsystem. Trotz ausgefeilter experimenteller und klinischer Methoden hat die PNI immer noch den Ruf der Halbwissenschaft. Die Internationale Fachgesellschaft nennt sich immer noch schamhaft „Society for Neuroimmunomodulation“, was regelmäßiges Diskussionsthema auf Kongressen und in Fachartikeln ist (Greer, 2002). Und bis heute finden sich immer wieder Autoren, die PNI als Pseudowissenschaft abtun. Warum tun sich alle so schwer mit der PNI? Als Wissenschaft, die versucht, biologische, psychologische und soziale Phänomene in ihren Wechselwirkungen zu verstehen, müssen hochkomplexe Systeme betrachtet werden. Oft können modellhaft nur Teilaspekte beschrieben werden, oft muss auf die sogenannte Fragebogenwissenschaft zurückgegriffen werde, um Phänomene zu beschreiben, die anders nicht fassbar sind. Philosophen haben in der Erkenntnistheorie die Trennung von Leib und Seele (der sogenannte kartesianische Dualismus nach R. Descartes, Philosoph im 17. Jh.) längst überwunden. Mittlerweile ist klar, dass Wirklichkeit nur innerhalb unserer Wahrnehmungsgrenzen gilt, mehr noch: Als wirklich kann nur das erkannt werden, was kommuniziert werden kann. Oder anders gesagt: Nur im Austausch (Gespräch oder Diskurs) über einen Gegenstand/ Thema kann dieser erfasst werden. Auch für jeden Einzelnen gilt, dass er das Resultat eines Kommunikationsprozesses mit seiner materiellen und sozialen Umwelt darstellt. Genau das ist Gegenstand der PNI: diese Kommunikationsprozesse zu beschreiben (Levin & Solomon, 1990). Der Alltag der psychoneuroimmunologischen Wissenschaft sieht allerdings viel nüchterner aus als diese hochfliegenden theoretischen Gedanken.


Wie Stress auf körperlicher Ebene wirkt

Bei kaum einer entzündlichen Erkrankung wird psychischen Faktoren eine so große Bedeutung beigemessen wie bei der MS. Dabei sind die wissenschaftlichen Daten für eine Bedeutung von psychologischem Stress für den Krankheitsverlauf widersprüchlich (Übersicht bei Strenge 2001). Seit 1996 existiert die Arbeitsgruppe Psychoneuroimmunologie der MS an der Neurologischen Klinik der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Unser Ansatz war dabei weniger, die Bedeutung individueller Belastungen für den Krankheitsverlauf zu untersuchen, als vielmehr Veränderungen in Stressregulationsmechanismen bei MS zu untersuchen. Dabei gehen wir von der Hypothese aus, dass bei einer Autoimmunerkrankung neben erblichen Faktoren und umweltbedingten Auslösern für die Erkrankungsentstehung zusätzliche Stressregulationsfaktoren für die weitere Entwicklung der Krankheit eine wichtige Rolle spielen. Hans Selye beschrieb 1946 als die Basis des heute noch gültigen Stresskonzeptes das allgemeine Adaptationssyndrom. Damit wird eine komplexe dynamische Situation bezeichnet, die das Gleichgewicht (oder Homöostase) des Organismus bedroht. Er erkannte weiter als Erster die Bedeutung von Kortikosteroiden (dazu gehört vor allem das „Kortisol“) für die Stressreaktion. Zur Aktivierung der Kortikosteroide unter Stress beschrieb er einen komplexen Mechanismus, den er HHN-Achse (Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenachse) nannte. Später wurden verschiedene Regulationsstörungen in diesem System beschrieben, die insbesondere auch bei psychiatrischen Erkrankungen (Depressionen, Angsterkrankungen)
eine wichtige Rolle spielen.

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