Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/02

"Zwischen allen Stühlen"?

Laudatio anlässlich des 5. Forschungspreises


von Wilhelm Rimpau

4.

Meine Laudatio gilt auch der Stiftung LEBENSNERV, deren 10 jähriges Bestehen wir heute feiern. Sie sind den Kinderschuhen entwachsen. Sie haben Pionierarbeit geleistet. Sie haben die oben angesprochene Betroffenheit umgesetzt in einen Dialog und ein Arbeitsbündnis zwischen MS-Erkrankten, ihren Angehörigen, Pflegenden, Ärzten und Wissenschaftlern. Allein die Tatsache, dass es diese Stiftung gibt und nun schon 10 Jahre gibt, verdient Respekt und Anerkennung. Sie haben über das Selbstverständnis von Selbsthilfegruppen hinaus die Tür aufgemacht und eingeladen zum Austausch. Sie fordern nicht allein auf, sich oder jemand anderen oder ein System zu verändern, Sie fordern das von Klaus Dörner beschriebene Ver-andern. Ich spreche jetzt als Arzt und meine, dass es um ärztliche Selbstbegrenzung vom Anderen her, um ärztliche Selbstbefreiung vom Anderen her, um Trialog und nicht allein Dialog geht. Während Selbstherrlichkeit und Fortschrittsgläubigkeit das Sein und das Denken zur Deckung zu bringen suchte, den Anderen durch Erkennen, Durchschauen, Behandeln, Verbessern, Veredeln, Kultivieren sich untertan zu machen suchte, geht es uns jetzt darum, ein Tertium, ein Drittes zu konstituieren. Es wird auf den historischen, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Kontext verwiesen. Aus der Sorge für den anderen in der Zweierbeziehung wird Verantwortung mit der Erweiterung der Begegnung von Arzt und Patient durch Einbezug eines Dritten. Der Königsweg zur Wahrheit ist nicht allein der Versuch, Subjektives zu objektivieren, sondern durch Überschneidung mehrer subjektiver Perspektiven wird die Zahl der Ansichten von der Wahrheit vermehrt. Als Arzt ist es nicht meine Aufgabe, den Anderen besser zu verstehen, als vielmehr meine Beziehung vom Anderen her so zu gestalten, dass er sich besser versteht. - Lieber Bert te Wildt: vielleicht mag diese Ver - Anderung Ihren Weg in die Psychotherapie prägen.

Ein Letztes: Liebe Frau Arnade, ich darf Ihnen einen Gruß ausrichten von Professor Juhani Rekola aus Helsinki. Auch er gratuliert zum 10jährigen Geburtstag! Sie erinnern, er schrieb einen "Entwurf zu einer anthropologischen Hypothese zur Entstehung der MS - Krankheit" im FORUM 2 / 1994. Wir trafen uns Anfang November 2001 in Heidelberg bei der Jahrestagung der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft, die unter dem Titel "Gegenseitigkeit" stand. Und damit bin ich wieder am Anfang meines heutigen Beitrages, der mit dem Abschnitt "Betroffenheit" begann. Wenn aus "Betroffenheit" durch "Ver-Anderung" "Gegenseitigkeit" wird, dann sind wir auf dem richtigen Weg, den wir gemeinsam in der Stiftung LEBENSNERV gehen.


Prof. Dr. med. Wilhelm Rimpau ist Chefarzt der Abteilung für Neurologie in der Berliner Park-Klinik Weißense

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