Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/02

"Zwischen allen Stühlen"?

Laudatio anlässlich des 5. Forschungspreises


von Wilhelm Rimpau

2.

Auf diese Weise gewappnet, darf ich jetzt meinen Auftrag erfüllen und als Laudatio dem Preisträger Herrn Bert te Wildt zunächst ganz herzlich gratulieren. Es sind acht eingereichte Arbeiten zu bewerten gewesen. Die Arbeiten behandelten Themen der Therapie, Verarbeitungsprozesse, Auswirkungen auf die Pflege sowie Krankheitstheorie. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Qualität eingereichter Arbeiten in den Jahren, seit dem es diesen Forschungspreis gibt, gewachsen ist. Bei manchen Arbeiten, die mit sehr klarer Fragestellung, sorgfältiger Methode und großem Einsatz angefertigt wurden, bräuchte der oder die Autorin bessere Beratung, beziehungsweise Arbeiten zu vergleichbarer Fragestellung hätten berücksichtigt werde müssen. Eine Arbeit hat eine hohe gesundheitspolitische Relevanz. Bis auf eine eingereichte Arbeit, die einfach keine Arbeit ist, spiegeln alle wertvolle Erfahrungen und Ergebnisse. Schade, dass es nicht mehrere Preise zu verteilen gibt. Zur Beurteilung eingereichter Arbeiten prüfe ich die Frage, ob ein innovativer Ansatz zu erkennen ist und ob Thema und Ergebnisse von Arbeiten im Sinne der eben dargestellten Psychosomatikdefinition eine Relevanz aufweisen. Schließlich gilt es damit den gesetzten Zielen der Stiftung LEBENSNERV zu entsprechen.

3.

Die Jury-Mitglieder haben mit großer Übereinstimmung die Promotionsarbeit an der Universität Witten / Herdecke mit dem Thema "Magisches Denken bei MS-Patienten" als beste Arbeit in diesem Jahr auswählen können. Wir beglückwünschen den Preisträger zu diesem Erfolg und gratulieren der Stiftung LEBENSNERV, deren Initiative es letztlich ist, Arbeiten dieser Art zu stimulieren und danken den Förderern der Stiftung für die Bereitstellung der Mittel für die Arbeit der Stiftung.

Bert te Wildt ist 1969 geboren, stammt aus dem Ruhrgebiet und hat in Witten/Herdecke Medizin studiert und 1998 abgeschlossen. Das dort übliche Studium Fundamentale hat ihn begeistert und er hat sich dank Blanche Kommerell zum begabten Schauspieler entwickelt. Er hat die amerikanischen Examina abgelegt und in verschiedenen Kliniken in den USA und Irland gearbeitet. Er ist weiterhin an der UWH engagiert und unterrichtet Pflegeschüler. Herr te Wildt möchte Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie werden und ich kann als früherer Lehrer in Sachen Neurologie nur bescheinigen, dass die Psychiater froh sein dürfen, wenn Herr te Wildt in ihren Reihen aufgenommen wird.

Die Ergebnisse seiner mit "magna cum laude" ausgezeichneten Promotion hat er beim 57. Jahrestreffen der Amerikanischen Psychosomatischen Gesellschaft (1999), beim Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin (2001) und auf dem 16. Weltkongress für Psychosomatische Medizin in Göteborg (2001) vorgestellt. Um Arbeiten bei diesen genannte Kongressen präsentieren zu dürfen, sind hohe Qualitätsstandards erforderlich. Auch dafür, dass Sie diese erreichen konnten, gebührt Ihnen Anerkennung und Gratulation.

Worum geht es in dieser Arbeit und was sind die Ergebnisse? Zunächst wird definiert, was unter den Begriffen somatogen, somatopsychisch, psychogen, psycho-somatisch zu verstehen ist. Magisches Denken ist definiert als der irrationale Glaube daran, dass Gedanken, Worte oder Handlungen ein bestimmtes Ereignis hervorrufen oder verhindern können, ohne dabei reale Kausalzusammenhänge zu berücksichtigen. Bei Kindern und Urvölkern ist magisches Denken ausgeprägt, findet sich aber zu einem gewissen Grade auch bei gesunden Erwachsenen, sprich bei uns allen. Während bei psychiatrischen Erkrankungen magisches Denken untersucht ist, stellt diese Arbeit erstmals eine Untersuchung magischen Denkens bei einer somatischen Erkrankung dar. Die Unberechenbarkeit des Verlaufs einer MS stellt hohe Anforderungen an die Adaptationsfähigkeit Betroffener. Viele Patienten nehmen alternative Heilverfahren in Anspruch. Magisches Denken mag dafür verantwortlich sein. Magisches Denken mag andererseits als ein der Dissoziation verwandter früher Abwehrmechanismus verstanden werden, der angesichts der die körperliche und psychische Integrität bedrohenden Erkrankung als Abwehr regressiver Ängste dient. Die drei Hypothesen der Arbeit lauten:


- tritt magisches Denken bei MS-Kranken häufiger auf als bei Gesunden?
- ist magisches Denken korreliert mit dem Grad der körperlichen und neuropsychologischen Behinderung?
- kann magisches Denken als dissoziativer Abwehrmechanismus verstanden werden?

Es wurden 76 gesunde Probanden und 94 MS-Patienten untersucht. Ich verzichte jetzt auf die Darstellung der Untersuchungsmethode und fasse nur die Ergebnisse zusammen:

- MS-Kranke zeigen keinen höheren Grad an magischem Denken als gesunde Vergleichspersonen,
- kognitive Defizite führen zu signifikant erhöhtem magischen Denken,
- jüngere MS-Kranke zeigen als Zeichen für einen Abwehrcharakter erhöhte Werte für magisches Denken.

Es zeigt sich, dass Kranke um das 40. Lebensjahr signifikant weniger magisches Denken aufweisen als Zeichen gelungener Adaptation. Als Konsequenz aus diesen Untersuchungsergebnissen lässt sich formulieren, dass die Phase der Adaptation zeitlich ausgedehnt werden muss, indem durch psychodynamische Therapie die Bewältigung regressiver Ängste und durch kognitive Verfahren neuropsychologische Ressourcen gefördert werden. Auch die fehlende Beziehung magischen Denkens zur häufigen Inanspruchnahme von alternativen Heilverfahren spricht für die Intensivierung psychotherapeutischer Bemühungen

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