Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/99

Leserbrief zum Psychotherapeutengesetz

Artikel von Ulrike Dibal-Niedrich ( FP 2/98, S. 30/31)

Frau Dibal-Niedrich bergrüßt in ihrem Aufsatz über das Psychotherapeutengesetz grundsätzlich, daß hinfort auch Psychologen an der kassenärztlichen psychotherapeutischen Versorgung teilnehmen dürfen, ohne daß Patienten von einem supervidierenden Arzt delegiert werden müssen. Beklagenswert findet sie, daß psychologische Therapeuten, die nicht über eine Ausbildung in tiefenpsychologisch-orientierter Psychotherapie verfügen, zunächst nicht uneingeschränkt an dieser Regelung teilnehmen können. Dieser Personenkreis müsse, so Dibal-Niedrich, sich einer umfangreichen und kostenträchtigen Nachqualifizierung unterziehen. Außerdem sei es ungerecht, daß psychotherapeutisch erfahrene Sozialpädagogen durch das neue Gesetz ausgegrenzt werden.

Dazu möchte ich feststellen, daß durch das besagte Gesetz erstmals der Titel Psychotherapeut geschützt wird und einheitliche Ausbildungsrichtlinien definiert werden. Im Einzelfall mögen dadurch Härten entstehen, von denen auch erfahrene Psychotherapeuten, die den Ausbildungsrichtlinien nicht genügen, betroffen sind. Eine eindeutige Grenzziehung gegenüber nicht hinreichend unter kontrollierten Bedingungen ausgebildeten »Psychotherapeuten« ist jedoch notwendig, da sich auf dem Markt eine Vielzahl nicht immer seriöser Anbieter bewirbt. Schließlich gibt es auch den Psychotherapeuten HP, der über eine Heilpraktikerausbildung verfügt, die etwa drei Jahre dauert und sicherlich nicht alle Kenntnisse vermittelt, die ein seriöser Psychotherapeut haben sollte.

Besonders bedenklich scheint mir die Äußerung von Frau Dibal-Niedrich, daß sich psychologische Psychotherapeuten deutlich länger ausbilden müßten, als dies für ihre ärztlichen Kollegen der Fall ist. Diese Behauptung wird von Psychologen aus polemischen Gründen sehr gerne gebraucht und in der Öffentlichkeit verbreitet. Sie ist vollkommen falsch und dient in erster Linie - wenn sie nicht lediglich Folge einer ausgesprochenen Uninformiertheit ist - der fachlichen Herabsetzung ärztlicher Psychotherapeuten, die zum Ziel hat, Psychotherapiewilligen und Bedürftigen nahezulegen, doch den angeblich qualifizierteren Psychologen aufzusuchen.

Tatsache ist, daß ärztliche Psychotherapeuten als Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie oder als Fachärzte für psychosomatische Medizin über eine wenigstens fünfjährige Weiterbildungszeit verfügen.

Von den Psychologen wird eine zweijährige Tätigkeit als klinischer Psychologe verlangt. Für ärztliche Psychotherapeuten, die nicht eine der beiden genannten Gebietsbezeichnungen führen, gilt, daß sie sich ebenfalls zwei Jahre in der Psychiatrie weiterqualifizieren müssen. Daraus kann man allenfalls schließen, wenn man ernsthaft über die von Frau Dibal-Niedrich aufgestellten Bedigungen diskutiert, daß es die ärztlichen Psychotherapeuten sind, deren Ausbildung länger dauert.

Überrascht hat es mich in diesem Zusammenhang vor allem, daß gerade eine Zeitschrift für »Psychosomatische MS-Forschung« solche Gedankengänge publiziert, da es gerade in der psychotherapeutischen Behandlung von Patienten mit Encephalomyelitis disseminata sehr wichtig ist, daß sie von Ärzten, am besten von psychotherapeutisch qualifizierten Neurologen durchgeführt wird, weil bei dieser Erkrankung sehr häufig fluktuierende Beschwerden organischer und psychosomatischer Genese bestehen.

Dr. Med. Wolfgang Scheidler
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Forchheim

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