Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 2/98 |
Übersicht über die vorgestellte Literatur
Im Sommer 1992 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitschrift,
seinerzeit noch als »Rundbrief«. Darin enthalten war ein
»Literaturüberblick« über Publikationen zum Thema
»MS und Psychosomatik«. Inzwischen hat die Stiftung selbst bei drei
Preisvergaben sechs wissenschaftliche Arbeiten ausgezeichnet, die in der
Zeitschrift ausführlich vorgestellt wurden.
Es interessierte uns
aber auch, was sich außerhalb der Stiftungsarbeit auf wissenschaftlichem
Gebiet tut. Also bot sich ein Gang in die Universität an. Gibt man in die
Computer von Universitätsbibliotheken Stichworte aus dem Umfeld von
Multipler Sklerose und Psychosomatik ein, so spuckt das Gerät etliche
Titel wissenschaftlicher Veröffentlichungen aus. Dank moderner Technik ist
es möglich, die bibliographischen Angaben sowie eine Zusammenfassung der
jeweiligen Texte auf einer mitgebrachten Diskette abzuspeichern, mitzunehmen
und zu Hause auszudrucken.
Von 34 Titeln habe ich ganz subjektiv eine
Auswahl von neun Arbeiten getroffen, die mir interessant erscheinen. Im
Folgenden werde ich Kurzfassungen der Zusammenfassungen dieser Studien in
chronologischer Reihenfolge vorstellen.
Für diese Untersuchung sind die Daten von 144 MS-Betroffenen ausgewertet worden. Bei fast der Hälfte verlief die Krankheit über viele Jahre gutartig. Festgestellt wurde eine zu frühe und zu schematische Berentung. Die Hilfe von außen wurde vor allem für MS-betroffene Frauen als verbesserungswürdig angesehen. Intensiv beschäftigte sich die Studie auch mit Bewältigungsstrategien. Darauf will ich nicht näher eingehen, weil zu diesem Themenkomplex noch neuere Erkenntnisse folgen (s.a. 3.-8.).
In dieser Untersuchung wurden 40 MS-Betroffene befragt, um Erkenntnisse über den Einfluss der Diagnose-Mitteilung auf die Krankheitsbewältigung zu gewinnen. Dabei unterstrichen die Betroffenen die Bedeutung einer frühzeitigen und verständnisvollen Diagnose-Mitteilung. Negativ wurde vor allem der autoritäre und bevormundende Arzt beurteilt, während Ärzte gern als Partner gesehen wurden. Besonders wichtig war den Betroffenen das Gefühl, von Ärzten als vollwertiger Mensch gesehen zu werden.
Die Autoren werteten die Fragebögen von 298
MS-Betroffenen aus. Dabei zeigte sich, daß die MS-betroffenen Frauen
trotz etwas ausgeprägterer körperlicher Beschwerden ihren psychischen
Zustand als besser einschätzten als die befragten Männer. Die
Einstellung der Frauen zu ihrer Krankheit war optimistischer und weniger
ängstlich und depressiv.
Weiter fanden die Autoren heraus, dass sich
frühzeitige Berentung häufig negativ auf das psychische Wohlbefinden
der Betroffenen auswirkt. Sie empfehlen deshalb, die Frage der Berentung nicht
vorschnell zu entscheiden.
947 PatientInnen mit Herzinfarkt, Nierenversagen und Multipler Sklerose wurden vergleichend mittels Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung beforscht. Muthny fand weit mehr und ausgeprägtere diagnose- als geschlechtsbezogene Unterschiede. So zeigten die Herzinfarkt-PatientInnen am seltensten eine depressive Verarbeitung. Den Gegenpol bildeten die MS-PatientInnen, die die höchsten Depressionswerte und die geringste Lebenszufriedenheit aufwiesen.
Diesmal untersuchte Muthny mit seinen Kollegen 83 MS-PatientInnen und beschreibt zunächst die körperlichen Symptome. Im psychischen Bereich zeigten über 40 Prozent der Betroffenen eine ausgeprägte Depression. 43 Prozent der untersuchten Personen waren frühzeitig berentet, ganztägig berufstätig waren nur noch 13 Prozent. Von den Betroffenen wurde ein ausgeprägter Bedarf an psychosozialen Angeboten geäußert.
451 Frauen mit Krebs, Herzinfarkt, Nierenversagen und Multipler Sklerose wurden zur Krankheitsverarbeitung und ihren eigenen Theorien zur Krankheitsentstehung befragt. In jeder Diagnosegruppe dominierte eine andere Theorie: Umweltverschmutzung bei den Krebs-Patientinnen, Alltagsstress bei den Herzinfarkt-Patientinnen, ärztliche Fehler bei den Dialyse-Patientinnen und Vererbung bei den MS-Patientinnen. Auf der Skala zu »depressiver Verstimmung« wiesen die MS-Patientinnen die höchsten, die Herzinfarkt-Patientinnen die niedrigsten Werte auf. Die höchste »Lebenszufriedenheit« hatten die Herzinfarkt- und Krebspatientinnen. Als nützlich zur Krankheitsverarbeitung schätzten Krebs- und MS-Patientinnen vor allem »Kampfgeist« ein.
Zehn Patienten mit schizophrenen Psychosen wurden hinsichtlich ihrer Bewältigungs- und Kompensationsstrategien mit zehn MS-Patienten verglichen. Die Autoren finden eine »überraschende« Übereinstimmung bei den Patienten beider Gruppen, »die in allen Fällen auch auf psychische Symptome ausgerichtete Bewältigungsstrategien entwickelt hatten«. Daher sollen nach Ansicht der Forscher auch bei MS-Betroffenen wie bei schizophrenen Psychosen die »Kompensationsstrategien durch geeignete Trainingsverfahren aktiviert« werden.
53 MS-Betroffene mit einer mittleren Krankheitsdauer von 21 Jahren wurden per Fragebogen zur Krankheitsbewältigung befragt. Die Autoren stellten bei 52 Prozent der Betroffenen eine günstige Krankheitsbewältigung fest. Die erkrankten Männer fühlten sich durch ihr soziales Umfeld besser unterstützt und gaben eine stärkere Akzeptanz der Erkrankung an als die untersuchten Frauen. In dieser Untersuchung gab es keinen Zusammenhang zwischen Krankheitsdauer und Krankheitsbewältigung. Die Autoren schlussfolgern aus ihren Untersuchungsergebnissen, dass die Beachtung psychosozialer Probleme und gegebenenfalls eine psychosoziale Unterstützung für die Krankheitsbewältigung bedeutsam sind.
210 ambulant betreute MS-Betroffene wurden in die Untersuchung einbezogen. Neben etlichen anderen Ergebnissen fanden die Forscher im Gegensatz zur vorgenannten Untersuchung, dass die zeitlich länger Betroffenen eine konstruktivere Krankheitsbewältigung aufwiesen.
Für mich war auffällig,
dass die letzten Arbeiten aus dem Jahr 1995 stammten, was aber eventuell mit einer mangelhaften Aktualisierung der Computereingaben zu tun haben könnte;
dass in mehreren Arbeiten kurz auf die Unterschiede zwischen Frauen und Männern eingegangen wurde mit zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen. Das unterstreicht meiner Ansicht nach die Notwendigkeit, in künftigen Forschungsvorhaben diesen Faktor stärker zu berücksichtigen;
dass mehrfach auf die negative Wirkung zu schneller und pauschaler Berentung hingewiesen wurde. Dem kann die Stiftung nur zustimmen, da wir immer für eine differenzierte Betrachtung der Einzelperson plädieren.
An dieser Stelle sei nochmals auf unsere Literaturliste hingewiesen, die auch über unser Internet-Angebot (siehe Editorial) abrufbar ist.
Si
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