Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/98

Kommentar zum Artikel "Coping Training bei Multipler Sklerose"

von Sigrid Arnade

So begrüßenswert und wichtig ich das Coping-Training für MS-Betroffene finde, so erstaunt und befremdet bin ich doch angesichts der Sicherheit, mit der die Autoren einen psychischen Faktor in der Pathogenese (Entstehung) der MS bestreiten. Und das, obwohl nach ihren Aussagen kein Zweifel darüber besteht, daß es zwischen „seelischen Regungen und dem Immunsystem intensive Wechselwirkungen gibt“.

Ich frage mich, woher die Autoren die Absolutheit ihrer Behauptungen nehmen. Es gibt eine Vielzahl von Studien, in denen ungewöhnlicher Streß bei MS-Betroffenen vor dem Auftreten der ersten Symptome im Vergleich zu Kontrollpersonen festgestellt wurde. Diese Arbeiten werden von den Autoren in dem Kapitel „Einflüsse seelischer Faktoren auf die MS und auf das Immunsystem“ nicht ernstgenommen, indem sie anmerken, solche Zusammenhänge seien rückblickend schwer zu beweisen.

Mit der gleichen Sicherheit, mit der sie psychische Faktoren bestreiten, behaupten die Autoren, Umwelteinflüsse (z.B. virale Infekte) und die Ernährung seien bei der MS-Entstehung beteiligt. Ich bezweifele, daß diese Faktoren tatsächlich alle „bewiesen“ wurden. Mir sind jedenfalls keine entsprechenden Arbeiten bekannt, und die Autoren haben leider auf Literaturangaben verzichtet.

Bleibt die Frage, warum die Verfasser eine Beteiligung psychischer Faktoren an der MS-Entstehung so rigoros negieren, statt die Vielzahl der Hypothesen zur MS-Entstehung und das minimale gesicherte Wissen zu thematisieren. Vielleicht wollen sie in der medizinischen Fachwelt nicht in eine Außenseiterposition geraten? Vielleicht spielen auch ganz andere Faktoren eine Rolle. Ich weiß es nicht und will hier nichts Unbewiesenes behaupten.

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