Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/98

"Coping Training" bei Multipler Sklerose

Teil 1 von 4 Teilen

von Björn Kruse, Dieter Pöhlau, Joachim Kugler

Übersicht

Teil 1 Einleitung
Depressivität bei MS
Teil 2, 3 Einflüsse seelischer Faktoren auf die MS und auf das Immunsystem?
Teil 4 "Coping Training"
Ergebnisse des Coping Training
Ziel: Verbesserung der Lebensqualität
Hinweise zu den Autoren

Einleitung

Die Multiple Sklerose (MS) ist charakterisiert durch Entzündungen in Gehirn und Rückenmark (beide zusammen werden als Zentralnervensystem, ZNS, bezeichnet). Entsprechend der Lokalisation der Entzündung können ganz verschiedene Symptome auftreten: Meist sind dies rein neurologische Ausfälle, wie vorübergehende Sehstörungen, Taubheitsgefühle, Lähmungen und Koordinationsstörungen. Da das Zentralnervensystem auch der Ort ist, an dem Fühlen und Denken lokalisiert sind, kann die MS zudem die psychische Befindlichkeit beeinträchtigen. Auch kann die Auseinandersetzung mit der Diagnose zu psychischen Problemen führen.

Depressivität bei MS

Jeder kennt Phasen der Energielosigkeit und Bedrücktheit, in denen Arbeiten schwer von der Hand gehen. Man zieht sich zurück, trifft sich kaum noch mit Freunden und hat keinerlei Interesse an Hobbys oder anderen Beschäftigungen. Oft gehen solche Phasen mit innerer Unruhe, Schlaf- und Konzentrationsstörungen einher. Das kann so weit gehen, daß man sich aufgrund allgemeiner Erschöpfung oder mangelnder Konzentrationsfähigkeit arbeitsunfähig schreiben lassen muß.

Solche „depressiven Verstimmungen“ oder „Depressivität“ sind bei MS-Erkrankten häufig. Je nach Untersuchung sind 22 bis 62 Prozent davon betroffen. In der Regel ist die depressive Verstimmung dabei nicht direkt auf Entzündungen im Zentralnervensystem zurückzuführen, sondern vielmehr „reaktiver“ Natur, d. h. sie entsteht als psychische Reaktion auf die veränderten Gegebenheiten.

So stellen z.B. Zukunftsängste, Angst vor Ablehnung durch Bekannte und Verwandte, neurologische Symptome oder drohender Verlust des Arbeitsplatzes eine so große Belastung dar, daß viele Betroffene darauf depressiv reagieren. Dabei ist Depressivität in frühen Stadien der Erkrankung – bei minimalen oder nicht vorhandenen neurologischen Symptomen – offenbar besonders häufig. Offensichtlich bedeutet also die Angst vor dem, was kommen könnte, für viele eine größere Belastung als die greifbaren körperlichen Behinderungen.

Der Betroffene hat möglicherweise so viel Angst vor der Erkrankung und der Zukunft und ist so fixiert auf die Symptome, daß sie ihm noch schlimmer erscheinen, als sie tatsächlich sind. Dadurch traut er sich noch weniger zu, und die eigenen Fähigkeiten erscheinen immer geringer, das Selbstvertrauen nimmt mehr und mehr ab – ein Teufelskreis, der sich immer weiter fortspinnen kann.

In einer solchen Phase der psychischen Anspannung ist der Betroffene oft nicht mehr arbeitsfähig und krankgeschrieben. Obwohl die Arbeitsunfähigkeit gerade kurz nach der Diagnosestellung meist nicht „hirnorganisch“ bedingt ist, sondern eine Folge der psychischen Belastung durch die Diagnose, werden MS-Patienten oft dann schon berentet. Dadurch haben sie meist deutlich weniger Geld zur Verfügung, verlieren die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz, die Tagesstruktur und kommen sich deshalb schnell „nutzlos” vor.

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