Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 1/98 |
Auszug aus dem Vortrag von Rainer Beese
Die Grundlage für diese Arbeit bildet langjährige Betreuungsarbeit MS-Betroffener in ihrer eigenen Wohnung sowie die Betreuung MS-Betroffener während mehrtägiger Seminare der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG). Die ersten Überlegungen zu der Untersuchung ergaben sich während eines Halbjahrespraktikums in der MS-Wohnebene eines Altenpflegeheimes in Bremen-Nord. Aus dem Vorwurf, der unzureichenden Versorgung der BewohnerInnen heraus, entstanden die Vorarbeiten zur Untersuchung der Versorgungssituation MS-Betroffener. Das Untersuchungsinstrument sollte verschiedene Einflußfaktoren auf Coping (Verarbeiten und Bewältigen) und die Lebensqualität schwer und schwerst MS-Betroffener erheben.
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Einen medizinischen Teil, der den Zugang zur MS als einer häufigen, primär unter somatischen Gesichtspunkten untersuchten, chronischen entzündlichen Erkrankung des Zentralen Nervensystems ermöglichen soll. Es werden u.a. mögliche Ursachen, Symptome, Therapien, Komplikationen und Prognosen der MS dargestellt. Der zweite Teil ist die Beschreibung der Situation MS-Betroffener aus psychologischer Sicht. Die Bewältigung chronischer Erkrankungen wird anhand verschiedener Coping-Konzepte erläutert und MS-bezogen dargestellt. Psychische Aspekte dieses Anpassungsprozesses, der auch das soziale Umfeld der Betroffenen und besonders die Familie betrifft, werden aufgezeigt. Unterschiedliche Modelle zur Erklärung und zur Erkennung förderlicher wie nachteiliger Verarbeitungsstrategien werden erläutert. In diesem Abschnitt wird besonders die Situation MS-Betroffener im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung verdeutlicht. Der dritte Teil der Arbeit beschreibt die empirische Untersuchung des Coping schwerst MS-erkrankter Menschen in zwei Lebensbereichen. Gruppe eins, MS-Betroffene, die in der eigenen Wohnung bzw. im eigenen Haus ambulant von Angehörigen und Pflegeverbänden versorgt werden. Gruppe zwei, MS-Betroffene, die in Pflegeheimen leben und dort stationär versorgt werden. Die Untersuchung umfaßt zwei Meßzeitpunkte mit sechs Monaten Abstand.
Im Kern ist die Hypothese, daß zu Hause lebende MS-Betroffene insgesamt günstigere Werte in den untersuchten Bereichen (emotionale Befindlichkeit, Krankheitsverarbeitung, soziale Unterstützung und Lebenszufriedenheit) erzielen, bestätigt worden.
Das Ergebnis legt nahe, daß das Coping nicht nur nach der Versorgung (ambulant bzw. stationär) unterschieden werden muß. Ein Einfluß könnte auch von der Art der im Heim vorgefundenen Lebensbedingungen und von der Dauer des Heimlebens ausgehen. Die Betroffenen der Substichprobe aus Celle leben im Schnitt bereits deutlich länger im Heim und äußern sich zufriedener, als die Betroffenen der Substichprobe in Bremen-Nord.
Da weder die Medizin mit einem Maschinenmodell und pharmakologischer Forschung in über 100 Jahren, noch psychotherapeutische Verfahren in ca. 50 Jahren eine kausale Therapie für die häufigste Erkrankung des ZNS hervorgebracht haben und/oder zuverlässige Prognosen für den Verlauf einer MS geben können, ist die Hoffnung unberechtigt, daß eine Disziplin auf sich beschränkt diese Aufgabe lösen wird.
Die Verbesserung des Copingverhaltens (z.B. durch ein Copingtraining) ist eine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Lebensqualität. Wichtig ist auch die Beratung Angehöriger, speziell dann, wenn diese wesentlich an der Pflege MS-Betroffener beteiligt sind. Es ist entscheidend, daß in der Familie keine maladaptiven (ungünstigen, d.Red.) Copingverhaltensweisen gefördert werden. Die Rehabilitation MS-Betroffener sollte besonders den Bereich der Freizeitgestaltung einbeziehen. MS-Betroffene im fortgeschrittenen Stadium sind darauf angewiesen, neue Betätigungsbereiche zu erschließen, in denen sie auch mit ihren Einschränkungen eine subjektiv sinnvolle Lebensgestaltung erlangen.
Im Bereich der stationären Versorgung MS-Betroffener ist es notwendig, Pflegekonzepte zu entwickeln, die verbliebene Fähigkeiten der Betroffenen einbeziehen und fördern. Ziel sollten altersgemäße, den Bedürfnissen angepaßte Wohnformen, statt ein Leben im Altenheim sein.
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