Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/98

Laudatio

Teil 1 von 3 Teilen

von Peter Hennnigsen

Heute verleiht die Stiftung LEBENSNERV zum dritten Mal ihren Forschungspreis zur psychosomatischen MS-Forschung. Ich denke, es trifft sich gut, daß das dieses Mal im Rahmen eines Symposiums über Entwicklungslinien psychotherapeutischer Begleitung und psychosomatischer Forschung bei MS geschieht – denn wichtige Entwicklungslinien lassen sich in diesem Jahr, so finde ich, auch für den Forschungspreis erkennen. Es trifft sich auch sehr gut, daß Preisverleihung und Symposium heute hier in der Parkklinik Weißensee stattfinden, deren Neurologische Abteilung von Herrn Rimpau geleitet wird. Er bringt eine Tradition psychosomatischer Neurologie nach Berlin zurück, die in Heidelberg im Umkreis Viktor von Weizsäckers entstanden ist und von Dieter Janz schon einmal vor knapp 25 Jahren, nach Berlin gebracht wurde. Auch wenn es ein arges Schlagwort ist, glaube ich doch, daß das Weizsäcker-Wort von der „Einführung des Subjekts in die Medizin“ so etwas wie einen Leitbegriff abgeben kann für die Stiftung und ihren Forschungspreis.

Der erste Preis wird dieses Jahr für zwei Arbeiten und damit an drei Personen verliehen, und zwar an Sie, Frau Hedwig Griesehop und Frau Brigitte Holtkotte, sowie an Sie, Herrn Rainer Beese. Die beiden hier zu würdigenden Untersuchungen wurden als Diplomarbeiten im Studiengang Psychologie an der Universität Bremen angefertigt – nachdem schon eine der Preisträgerinnen des letzten Forschungspreises von dort kam, ist der Eindruck unvermeidlich, daß diese Hansestadt ein besonders förderliches Umfeld ergibt für unser Thema der psychosomatischen MS-Forschung.

Innerhalb dieses weiten Forschungsfeldes setzen Sie alle drei beim Thema „Krankheitsbewältigung“ an. In Ihrer Arbeit „Multiple Sklerose – Multiple Bewältigungsformen“, die Sie ja selbst gleich noch vorstellen werden, schildern Sie, Frau Griesehop und Frau Holtkotte, Interviews mit fünf MS-Betroffenen, die in halbstrukturierter, offener Form geführt wurden und Auskunft geben über das sehr unterschiedliche Erleben der Erkrankung an MS und der Auseinandersetzung damit. Die sehr detailliert nachgezeichnete Unterschiedlichkeit ist selbst ein wesentlicher Befund, denn sie zeigt, daß – aus der Sicht des Subjekts – MS eigentlich gar nicht „eine“ Krankheit ist, sondern ein eher abstrakter Oberbegriff für ganz verschiedene Konstellationen aus persönlicher Lebenssituation, neurologischer Beeinträchtigung und Formen der Bewältigung. Voraussetzung für diese Befunde, die ihren Wert aus der Individualisierung gewinnen, ist die entsprechende Methode, die Sie an der sogenannten qualitativen Forschung orientiert haben. Diese Methode wiederum setzt ein bestimmtes Verhältnis von Untersucher und Untersuchungsgegenstand voraus, ein Verhältnis, daß sich am ehesten durch Offenheit für subjektive Bedeutungen, Anerkennung des Anderen als einem Gegenüber und nicht ausschließlich als einem Objekt der Forschung charakterisieren läßt.

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