Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/97

Teil 4: "Klare Grenzen für die medizinische Forschung - Nürnberger Kodex 1997"

6. Gentherapie

Der eingeengte Blick auf die Gene versperrt die Sicht auf die vielfältigen Facetten des Phänomens Krankheit, auf soziale und psychische Aspekte und krankmachende Konsum-, Arbeits- oder Umweltfaktoren. Die wissenschaftliche Erforschung des menschlichen Genoms kann dazu beitragen, Krankheiten ursächlich zu behandeln. Sie birgt aber auch die Gefahr der Menschenzüchtung sowie der Enteignung und kommerziellen Ausbeutung menschlicher Körpersubstanz in sich.

Die jetzt noch experimentelle somatische Gentherapie darf nur bei schweren Krankheiten und sorgfältigster wissenschaftlicher Prüfung der damit verbundenen Risiken sowie nach Ausschöpfung aller alternativen Behandlungsverfahren angewandt werden. Genetische Eingriffe in die Keimbahn des Menschen – seien sie Behandlungsabsicht oder Nebenwirkung somatischer Gentherapie – haben schwerwiegende, nicht absehbare Konsequenzen für nachfolgende Generationen. Sie sind deshalb nicht zu rechtfertigen.

Genetisches Wissen muß auch in Zukunft allen Menschen zur Verfügung stehen. Menschliche Gene werden entdeckt, nicht erfunden. Sie sind deshalb nicht patentierbar.

7. Transplantationsmedizin

Die Transplantation von Organen und Geweben darf zur Lebensrettung oder zur Behebung schwerer Leidens- und Krankheitszustände angewandt werden. Transplantationen zu experimentellen Zwecken sind abzulehnen. Einen Anspruch auf fremde Organe oder fremdes Gewebe gibt es nicht.

Jeder Mensch hat auch über den Tod hinaus ein Recht, über seinen Körper selbst zu bestimmen. Die Spende eines Organs oder von Gewebe darf nur aufgrund freier, informierter und persönlicher Einwilligung und aus dem Motiv der Hilfsbereitschaft erfolgen. Eine Ersatzeinwilligung von Vertrauenspersonen ist dann gerechtfertigt, wenn diese von den Betroffenen ausdrücklich dazu beauftragt wurden. Die Verpflanzung von Organen und Geweben von Menschen, die ihre persönliche Einwilligung nicht gegeben haben oder die aus wirtschaftlicher Not zur Spende gezwungen waren, ist unzulässig. Eine Nachweispflicht über die freiwillige und informierte Einwilligung zur Entnahme muß international eingeführt werden.

Der Hirntod ist nicht mit dem vollendeten Tod des Menschen gleichzusetzen. Der Hirntod kann allenfalls als Entnahmekriterium für Organe auf der Basis der freiwilligen und informierten Einwilligung gelten. Die Organ- und Gewebsentnahme bei noch nicht einwilligungsfähigen Kindern ist an die freiwillige und informierte Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter gebunden. Menschen, die aufgrund ihres Alters selber einwilligen könnten, die aber einwilligungsunfähig sind wegen einer Erkrankung oder Behinderung, sind vor der Entnahme von Organen und Geweben, auch vor der Entnahme regenerierbaren Gewebes oder eines paarigen Organs, geschützt.

Eine Transplantation von Gehirngewebe ist nicht zu rechtfertigen, wenn sie die geringste Gefahr in sich birgt, Individualität und Persönlichkeit des Menschen in Frage zu stellen. Die Transplantation von Fötalgewebe ist abzulehnen, weil sie auf die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch Einfluß nehmen kann und verhindert, daß die für den Fötus schmerzloseste und für die Schwangere schonendste Methode des Schwangerschaftsabbruchs gewählt wird. Der Handel mit Organen und Geweben ist durch internationale Übereinkommen zu unterbinden.

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