Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/97

Teil 2: "Das Psychotherapeutengesetz - Stationen eines Dauerbrenners" von Frank Roland Deister

Kostenerstattungssystem

Danach passierte gesetzgeberisch erst einmal lange gar nichts. Aber aufgrund des enormen Bedarfs an Psychotherapie und dem lange Jahre bestehenden Mangel an Therapieplätzen im Rahmen der offiziellen Richtlinien-(Vertrags-)Psychotherapie entwickelte sich im Lauf der Zeit ein immer etablierteres Versorgungssystem außerhalb der kassenärztlichen Versorgung, das sogenannte Kostenerstattungssystem. Die Techniker-Krankenkasse begann im Rahmen einer Vereinbarung mit dem BDP (Berufsverband Deutscher Psychologen) damit, Therapien sogenannter „Klinischer Psychologen BDP“ zu erstatten und die Therapieanträge über ein eigenes Gutachtersystem des BDP prüfen zu lassen. Auch andere gesetzliche Kassen folgten unter dem Druck ihrer therapiesuchenden Versicherten und erstatteten zunehmend die Kosten nach Prüfung durch den Medizinischen Dienst.

Wieder aufgenommene und intensivierte Lobbyarbeit der Psychologenverbände versuchte Ende der achtziger Jahre erneut Bewegung in die Gesetzgebung zu bringen. Immerhin legte im Jahre 1993 der Gesundheitsminister der CDU/FDP-Koalition, der auch damals schon Horst Seehofer hieß, einen neuen Entwurf vor, der im sozialrechtlichen Teil noch ein eigenes Versorgungssystem außerhalb des KV-Systems (KV=Kassenärztliche Vereinigung) vorsah. Sowohl die Verbände der Erstattungspsychologen als auch die der Richtlinientherapeuten versuchten diesmal einen Eklat zu vermeiden und Kompromisse zu finden. Der endgültige Gesetzentwurf scheiterte daher diesmal nicht an ihrer Uneinigkeit, sondern im Jahre 1994 in der zu Ende gehenden Legislaturperiode am Veto der SPD, die die von der Koalition beachsichtigte Zuzahlungsregelung für Patienten – die im übrigen auch alle Psychotherapeutenverbände ablehnten – nicht akzeptieren mochte und daher das zustimmungspflichtige Gesetz erst im Bundesrat und danach auch im Vermittlungsausschuß nicht passieren ließ.

Die Verbände der Richtlinientherapeuten in der AGR (Arbeitsgemeinschaft der Richtlinienpsychotherapeuten) vertrauten in der neuen Legislaturperiode dann nicht mehr allzusehr auf die Versprechen der Politiker, zumal die parlamentarische Pattsituation bei der Zuzahlung auch nach den Wahlen weiterbestand. Sie nahmen daher eigene Verhandlungen mit der KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung) auf und entwickelten 1995 als Alternative zum gescheiterten Gesetzentwurf das sogenannte Integrationsmodell, das die Integration in das bestehende KV-System favoriserte.

Inzwischen festigte sich das an KBV und KVen vorbei errichtete Kostenerstattungssystem weiter – mit teilweise absurden und ungerechten Auswirkungen, daß Kostenerstatter bis zu 50 Prozent mehr für ihre Leistungen bekamen als die Richtlinientherapeuten, die im KV-Hamsterrad wegen ihrer zeitgebundenen Leistungen nicht mithalten konnten. Auch machten jetzt die Betriebs- und Innungskassen – wie zuvor die TKK – mit den Erstattungspsychologen Verträge. Nachdem eine Klage gegen die TKK zunächst lange Jahre ausgesetzt war, suchten KBV und KVen daher eine gerichtliche Entscheidung – und bekamen Recht. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erklärte im letzten Jahr die reguläre Kostenerstattung für nicht zulässig. Die Kassen hielten sich überraschend schnell an diese Rechtsprechung, stoppten teilweise sogar laufende Therapien und muteten ihren Versicherten auch Therapeutenwechsel zu. In den großen Städten führte dies in der Regel trotz des Wegfalls von ca. einem Drittel der Behandler auf Kassenkosten wegen der größeren Zahl von Vertragsbehandlern nicht zu extremen Auswirkungen, in kleineren Städten und auf dem Lande scheinen aber empfindliche Versorgungsdefizite entstanden zu sein, die weiter fortbestehen. Daneben ist auch die berufliche Existenz der Erstattungsbehandler bedroht. Tausende betroffene Psychologen demonstrierten daher im Mai diesen Jahres in Bonn. Die Öffentlichkeit und die Presse waren aufgeschreckt und verwirrt – teilweise entstand der irrige Eindruck, Psychotherapie sei als Kassenleistung ganz gestrichen.

voriger Teil (1) ** letzter Teil (3)
voriger Artikel ** nächster Artikel
Inhalt von FP 2/97 ** FP-Gesamtübersicht
Startseite