Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/97

Teil 6: "Subjektive Krankheitstheorien bei multipler Sklerose" von H.-G. Heiden, S. Arnade

Frau B.

Seit 1949 bin ich (jetzt 65 Jahre) MS-betroffen. Zu der Zeit vor dem Beginn: Da gab es lange Strecken von negativem Erleben und viele Unstimmigkeiten. Vor allem in den Entwicklungsjahren hatte ich Schwierigkeiten. Mit dem „Auf-mich-zu-kommenden“ wollte ich nichts zu tun haben. Diese Haltung habe ich noch „untermauert“ mit der, vielleicht unbewußten, Überlegung: Besser, ich lehne etwas ab, als daß ich abgelehnt werde. Wenn ich jetzt über Auto-Immun-Krankheiten lese, fällt es mir immer ein. Denn ich war ja damals sozusagen „mein bester Feind“.

Ich gehöre zu den leichteren Fällen und habe in der langen Zeit rückblickend des öfteren festgestellt, daß sich die Krankheit bei mir zu einem guten Teil sehr positiv ausgewirkt hat. Es war für mich wie ein „Wende“. Den wichtigsten Anstoß dazu bekam ich von einem Arzt, der auch gleichzeitig Psychotherapeut war. Er brachte mich dazu, mir Gedanken zu machen über mich und meine Einstellung zum Leben, und ich erfuhr plötzlich Verständnis und eine Portion Zuwendung. Es war irgendwie ein elementares Erlebnis.

Vorher wußte ich gar nicht, daß mir so etwas gefehlt hat. Als ich dann merkte, daß ich mir auch selber etwas geben konnte, hatte ich ein gutes Gefühl. Ich bekam Auftrieb, und mein Selbstwertgefühl ist auch gewachsen.

Bilanz: Bin zufrieden, ausgefüllt und mein bester Freund geworden, wenngleich ich auch meine Gleichgewichtsstörungen behalten habe. Damit kann ich aber umgehen.

Frau C.

Ich bin seit 1975 MS-krank. 1965 habe ich geheiratet. Meine Ehe war immer mit Erniedrigungen verbunden. Habe meinem Ehemann nie etwas recht machen können. Er ist leider Egoist und Choleriker. Bei der kleinsten und geringsten Kleinigkeit schrie er.

1973 bis 1975 bauten wir ein Haus; da mußte ich noch viel helfen und in die Arbeit gehen. Im September 1975 hatte ich dann eine Sehnerventzündung mit einer Sehfähigkeit von nur noch zehn Prozent. Ich hatte in den darauf folgenden Jahren einen Schub nach dem anderen und bin oft vom Fahrrad gefallen.

1988 konnte ich nicht mehr und habe meine Scheidung eingereicht. Auch hinterher habe ich noch vieles mit meinem früheren Mann erlebt. Er wollte sogar mich und meinen Sohn erschießen.

Daran kann man sehen, daß wirklich vieles von der Seele kommt. Denn jetzt habe ich die Auferstehung erlebt. Ich weiß mit meinem Leben sehr viel anzufangen. Die Krankheit half mir, die Augen zu öffnen. Ich sagte schon immer: entweder ich bleibe bei dem Mann und komme in den Rollstuhl, oder ich gehe (was ich Gott sei Dank getan habe) und werde wieder gesund.

Jetzt bin ich alle Tage ein glücklicher und zufriedener Mensch. Ich habe nach dem, was hinter mir liegt, keinen Schub mehr gehabt. Ich weiß jetzt, die Krankheit anzunehmen und auch die Menschen. Ich danke auch Gott, der mich täglich begleitet und leitet.

Meine Erkenntnis ist, daß man sich nicht stressen soll, bis es nicht mehr geht. Dann fehlen die Abwehrkräfte, und dann ist man anfällig, der eine für MS, der andere für Krebs oder Diabetes, je nach Veranlagung. Auch jede Sorge, Angst und Streit verkraftet die Seele nicht. Aber ein ausgeglichenes Seelenleben gibt Kraft und Freude.

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