Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 2/97

Teil 2: "Subjektive Krankheitstheorien bei multipler Sklerose" von H.-G. Heiden, S. Arnade

Herr A.

Im Mai 92 nach dem Auftreten von Gehstörungen, Parästhesien – also Mißempfindungen am Körper – und einer leichten Sehstörung wurde bei mir multiple Sklerose diagnostiziert. Bei mir scheint glücklicherweise ein gutartiger Verlauf vorzuliegen, ich lebe seit zwei Jahren weitgehend symptomfrei. Was bleibt, ist eine latente Bedrohung. Wird es morgen schon anders sein?

Vater und ich – Gleichgültigkeit

Ich habe meinen Vater kaum erreichen können. Das Monopoly-Spiel mit ihm endete mit einer Ohrfeige für mich. Ich erinnere mich nicht, daß er je in Frieden mit mir gespielt hätte. Radfahren, Ballspielen, Schwimmen habe ich auf der Straße im Kontakt mit anderen Kindern gelernt. Meine handwerklichen Fähigkeiten habe ich mir von älteren Freunden abgeguckt und dann in der Lehre vertieft. Mein Vater hat sich für mein Leben nicht interessiert und mich an seinem Leben nicht teilnehmen lassen.

Ich war so gerne an seiner Seite, hätte ihn so gerne für mich eingenommen, war jedoch in den wenigen Situationen in denen es möglich gewesen wäre, nicht in der Lage dazu. Nachdem mein Bruder ihm einmal widersprochen hatte – er wollte nicht mit auf den Spaziergang – und dafür verprügelt wurde, habe ich meine Meinung lieber für mich behalten. Das hatte eine nachhaltige Wirkung. Ich blieb still an seiner Seite. Ich hatte längst aufgegeben, um ihn zu werben, wußte auch nicht, wie ich seine Aufmerksamkeit auf mich lenken konnte.

In der Schulzeit ging es noch am ehesten, wenn ich die Leistungen, die er von mir forderte, verzögerte oder verweigerte. Dann hatte ich wenigstens seinen Ärger. Später spürte ich mehr und mehr nur Gleichgültigkeit mir gegenüber. Als ich mit 15 Jahren mit Angst und Herzflattern vom Opiumrauchen auf meinem Bett lag, und Mutter sich um mich kümmerte, blieb er vor dem Fernseher sitzen, sprach mich auch später nie darauf an.

Mein Vater hat immer aus dem Vollen gelebt, hat nie seine Affären zu anderen Frauen verheimlicht. Seine Aufgabe, nämlich die Beziehung zu seiner Ehefrau zu gestalten, hat er an mich delegiert. Er ist nie auf die Idee gekommen, daß ich unter der Sorge um die verlassene Mutter und seiner Abwesenheit gelitten habe.

Im Gegenteil: ich habe vielmehr seine Eifersucht und seine Konkurrenz im Gefühl, die sich später noch bemerkbar machten, wenn er mit meinen Freundinnen flirtete.

Er war auf meine Verwöhnung durch Mutter eifersüchtig, doch gleichzeitig hat er alles getan, damit es dazu kam. Mir ist, als hätte ich ihm etwas weggenommen, daß ich aber nie haben wollte.

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