FORUM PSYCHOSOMATIKZeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 24. Jahrgang, 2. Halbjahr 2014 |
(die keine Fortgeschrittenen werden wollen)
Anmerkungen zu Multiple Sklerose
(Version 3B, März 2014)
Vorab
Ich hätte das, was Sie im Folgenden lesen, gern selbst lesen dürfen, und zwar
als Anfänger: im Herbst 2005 – als ich wegen „kalter, tauber Füße“ und
„aufsteigender Missempfindungen“ bei einem Neurologen landete und dann
im Krankenhaus, wo man zunächst ein Guillain-Barré-Syndrom ausschloss, dann
eine Myelitis disseminata diagnostizierte, diese mit hochdosiertem Cortison
behandelte und mich als „gebessert“ entließ. Danach ging es mit meiner
Gesundheit zügig bergab, im März 2006 wurde ich wegen neuerlich
empfindungsloser Füße wieder aufgenommen, wieder untersucht, und diesmal
lautete die Diagnose Klinisch gesicherte Multiple Sklerose. Man versorgte mich
erneut mit einer Cortison-Stoßtherapie, riet mir dringend zum sofortigen
Beginn einer „Basistherapie“, entließ mich unzutreffend als „fühlt sich schon
besser“ und verwies mich zur Weiterbehandlung an einen Neurologen meiner
Wahl, dichter an meinem Wohnort.
Ich wurde danach nicht wieder gesund, war zwei Jahre praktisch berufsunfähig, ständig hundemüde und hatte einen Schub nach dem nächsten, fühlte wenig, sah gelegentlich nichts und gelegentlich alles doppelt und wurde immer müder und weniger. Ich versuchte auf eigene Faust alles Erdenkliche, um den Ursachen meiner Erkrankung auf die Spur zu kommen, verbrachte sehr viel Zeit bei sehr vielen sehr unterschiedlichen Ärzten, trank aufgebrühte chinesische Gartenabfälle (deklariert als „Tee“), hing stundenlang an angeblich aufbauenden Tröpfen, ließ mir Zähne ziehen, nahm diverse Mittel und Substanzen, stellte meine Ernährung um, flog zu MS-Forschern, las mehrsprachig alles, was ich kriegen konnte, von Esoterik bis Studien ... es würde den Rahmen sprengen, alles aufzuzählen. Es war teuer. Es war zeitaufwendig. Und es nützte nichts. Ende 2007 wurde ich in einem Krankenhaus nachts notaufgenommen, weil nicht nur meine Extremitäten sich verabschiedet hatten, sondern ich wegen eines Ausfalls der Darmtätigkeit und eines Teils des Zwerchfells einiges nicht mehr konnte, zum Beispiel atmen, greifen und laufen. Ich wurde mit Cortison behandelt, man empfahl mir dringend als letzte Hoffnung und Option die „Eskalationstherapie“ mit Tysabri. Ich wich zunächst auf Immunglobuline aus, brach diesen Ansatz wie die Cortisontherapie ab (letztere mitten in der zweiten Hochdosis-Runde) und entließ mich selbst, mit der Prognose im Nacken, sofern ich nicht umgehend mit Tysabri anfinge, werde mein nächster Schub womöglich mein letzter sein. Ich verzichtete, brach auch die etwas später folgende Reha ab, musste mich anschließend von meinem Haus trennen, meinem Auto, allen Versicherungen und auch von fast allem anderen, sogar meiner Bibliothek. Anfang 2008 blieben mir Schulden, 20 Bücherkisten im Keller eines Freundes, ein Schreibtisch und keine Perspektiven, da ich beruflich wegen meiner nun schon so lange anhaltenden Erkrankung komplett aussortiert war. Anspruch auf Renten oder andere Versorgungen hatte ich keine, ich war und bin Freiberufler und Autor.
Entgegen der (gut begründeten) ärztlichen Prognose bin ich nicht gestorben. Seit meiner eigenhändigen Entlassung aus dem Krankenhaus Ende 2007 hatte ich keine Schübe mehr (jedenfalls keine, die ich bemerkt hätte), meine MS gilt jetzt als chronisch-progredient, allerdings habe ich auch keinen „EDSS-Wert“ mehr, also keine Behinderung mehr im Sinne der ärztlichen Kriterien. Ich spiele gelegentlich Tennis. Manchmal falle ich ein paar Wochen aus – weil ich wieder sehr viel arbeite (was sich nicht vermeiden lässt, wegen siehe oben und weil ich 3 Töchter und eine Frau allein versorge) und mich dabei manchmal übernehme. Manchmal liegt´s aber auch daran, dass es mir zu gut geht und ich wider besseres Wissen gegen einige meine eigenen Regeln verstoße. Kürzer gesagt: Es geht mir nicht immer gut, aber oft.
Aber das ist nebensächlich. Hauptsächlich ist, dass ich ein paar Dinge gelernt habe. Möglicherweise sind diese Dinge für Sie wichtig, denn Sie fangen gerade an. Sprich: Sie sind nicht schon jahrelang krank, Sie haben noch nicht wichtige „Weichen“ verpasst (wie ich), sondern Sie sind gerade im Krankenhaus gelandet und haben die Diagnose „MS“ bekommen. Das, was Sie im folgenden lesen, hätte ich damals gern zu lesen bekommen. Es hätte mir manches erspart. Ich hoffe, es nützt Ihnen.
P.S.: Ich bin kein Arzt.
P.P.S.: Jeder, der aus eigener längerer MS-Erfahrung zu den nachfolgenden
Punkten etwas beitragen möchte, was das Beschriebene verdichtet und
möglichst aufs Wesentliche noch weiter verkürzt, ist herzlich eingeladen, mir
Anregungen und/oder Korrekturen zu schicken (mail@sven-boettcher.de).
Von 180-Seiten-Abhandlungen bitte ich allerdings abzusehen. Natürlich weise
ich auch auf solche gern hin, im Rahmen meines Blog (erzähler.net), sofern sie
mir zielführend erscheinen, kann solche Abhandlungen aber garantiert nicht
allesamt vollständig beurteilen und in dieses Dokument einbauen. Ich bitte
um Verständnis. „Verdichtungen“ sind aber ausdrücklich herzlichst erwünscht
und willkommen, erst recht Korrekturen an Stellen, an denen ich mich irre
oder etwas Wesentliches vergessen habe. Ich danke im voraus für Ihre Mühe
und Hilfe beim Verbessern des Nachfolgenden.
P.P.P.S.: Mein Anwalt sagt, hierher gehört der kleingedruckte Hinweis: für die
im Folgenden erwähnten medizinischen und therapeutischen Maßnahmen
übernimmt der Autor keine Haftung. Sein individueller Heilungsbericht gibt
die persönlichen Ansichten und Aktivitäten des Betroffenen wieder, diese
unterliegen bei Nachahmung der alleinigen Verantwortung des Lesers. Größer
gedruckt, aber vermutlich genauso deutlich: Ich bin kein Arzt.
Den vollständigen Text können Sie lesen unter: http://www.erzähler.net/?page_id=1000
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