FORUM PSYCHOSOMATIKZeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 23. Jahrgang, 1. Halbjahr 2013 |
Wenn man in der Fachliteratur nach Zahlen zu Multipler Sklerose sucht und die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) fragt, lautet die gängige Antwort: In Deutschland sind 120.000 bis 140.000 Menschen an MS erkrankt. Eine seriöse Studie kommt nun zu dem Schluss, dass es in Wirklichkeit sehr viel mehr Fälle sind.
Berechnungen von Dr. Gabriele Petersen vom Bundesversicherungsamt zufolge erhielten 199.505 Versicherte im Jahr 2010 mindestens einmal eine Diagnose „Multiple Sklerose“ nach der ICD-Klassifikation G35 – ein gewaltiger Unterschied zu den oben genannten Annahmen.
Die Studie basiert auf Datenmeldungen (ambulante und stationäre Diagnosen, ambulante Versorgungsdaten) für den Risikostrukturausgleich aus dem Jahr 2010 und umfasst alle gesetzlich Krankenversicherten, also gut 71 Millionen Menschen in Deutschland.
Ihre Ergebnisse gab Petersen auf dem Methodenworkshop der Arbeitsgruppe „Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten“ (AGENS) bekannt. Die bisherigen Daten fußten auf Hochrechnungen kleinräumiger, selektiver Erhebungszentren, erklärt Petersen, warum altbekannte Zahlen nicht vollständig zu sein scheinen.
Nach den neuen Erkenntnissen liege die sogenannte Prävalenz – also Häufigkeit – in Deutschland bei 0,29 Prozent, rund 70 Prozent der Erkrankten seien Frauen. Lediglich 49 Prozent der MS-Patienten erhielten eine Pharmakotherapie, die Verordnung von Arzneimitteln nehme mit dem Alter deutlich ab. Der Anteil der Patienten, die stationär behandelt wurden, liege bei 14,7 Prozent. Männer würden etwas häufiger im Krankenhaus behandelt als Frauen.
Die Auswertung der Daten habe zudem ein deutliches West-Ost-Gefälle zu Tage gebracht, sagt Petersen. Während in westlichen Regionen 300 bis 600 MS-Erkrankte auf 100.000 Versicherte kämen, seien es im Osten unter 200. 48,3 Prozent der Patienten im Westen und 50,2 Prozent der Betroffenen im Osten erhielten eine Arzneimitteltherapie. Dabei gebe es für die Erkrankten im Osten allerdings deutlich geringere Tagesdosen als für Patienten im Westen. „Die regionalen Unterscheide sowohl bei der Prävalenz als auch beim Verordnungsverhalten sind epidemiologisch nicht eindeutig zu erklären“, sagt Petersen. „Sie weisen aber auf deutliche Unterschiede in der medizinischen Versorgung hin.“ Die AGENS ist bei der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) angesiedelt. Sie versteht sich als Forum für Wissenschaftler, Politiker und weitere Interessierte, die Sekundärdaten, vor allem Daten der Sozialversicherungsträger, nutzen.
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