FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 22. Jahrgang, 1. Halbjahr 2012

Placebo und Nocebo-Effekte:

Erwartungshaltung des Patienten
ist entscheidend für den Therapieerfolg

Medikamente und Behandlungen können auch dann Erfolg zeigen, wenn sie keine Wirkstoffe enthalten oder sich auf bloße Gespräche beschränken. Der Grund dafür sind Placebo-Effekte. Es gibt aber auch negative Auswirkungen der Scheintherapie – sogenannte Nocebo-Effekte. Prof. Dr. rer. Biol. Hum. Dipl.-Psych. Manfred Schedlowski (Leiter des Instituts für medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen) und Prof. Dr. Wolfgang Rief (Leiter der Psychotherapie- Ambulanz an der Universität Marburg) sind den Mechanismen der Placebo- und Nocebo-Reaktionen sowie deren Anwendung in der Praxis auf den Grund gegangen.

„Ein Placebo kann ein Scheinmedikament ohne pharmakologisch aktiven Wirkstoff sein oder auch eine Scheinbehandlung, die keine spezifischen Effekte hat“, erläutert Professor Schedlowski. Er führt die Wirkungen von Placebos auf drei neuropsychologische Mechanismen zurück: Zum einen auf kognitive Faktoren wie die Erwartungshaltung. „Wenn der Patient glaubhaft vermittelt bekommt, dass eine bestimmte Medikation schmerzlindernd wirkt, wird dieser in der Regel auch Schmerzen weniger intensiv wahrnehmen“, so Professor Schedlowski. Zum anderen werden Placebowirkungen durch assoziative Lernprozesse (Konditionierung) gesteuert. Wenn Patienten die Erfahrung gemacht haben, dass ein bestimmtes Medikament Schmerzen lindert, wird diese Einstellung zur Schmerzlinderung beitragen.

Aber auch die Qualität der Arzt-Patienten-Kommunikation hat Auswirkungen, weiß Professor Schedlowski: „Eine vertrauensvolle Beziehung zum behandelnden Arzt verstärkt nachweislich die Wirkung einer Medikation oder Behandlung auf die Krankheitssymptomatik.“ Neben positiven Auswirkungen können Placebos auch negative Effekte erzeugen. „Nocebo-Reaktionen treten vor allem auf, wenn Nebenwirkungen erwartet werden. Aus Medikamenten-Studien wissen wir, dass sogar die allermeisten Beschwerden, die Menschen auf Medikamenteneinnahme zurückführen, nicht von der biochemischen Wirkung des Medikaments selbst abhängen. In diesem Zusammenhang muss sicher kritisch disku- tiert werden, dass Beipack-Zettel in Medikamenten-Packungen endlos lange Listen an möglichen, in der Regel schlecht überprüften Nebenwirkungen aufführen. Hier wäre es sinnvoller, nur die wirklich wissenschaftlich fundierten Nebenwirkungen zu nennen“, meint Professor Rief und ergänzt: „In der Praxis kann der Arzt davon ausgehen, dass die weit überwiegende Mehrzahl von geschilderten Beschwerden nach Medikament- Einnahmen eher Nocebo-Effekte sind als direkte Medikamentenfolgen.“

Bislang werden Placebos routinemäßig überwiegend in der Forschung eingesetzt, um Medikamente vor der Zulassung auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Die Mechanismen, die hinter Placebo- und Nocebo-Effekten stehen, könnten jedoch gezielt für eine Verbesserung des Therapieerfolgs genutzt werden. Medikament-Entzüge könnten beispielsweise durch die Einstreuung von Placebos erleichtert werden, indem die erwarteten Entzugserscheinungen umgangen werden. Auch sollten laut Professor Rief die Erwartungshaltungen der Patienten viel stärker in der Behandlung berücksichtigt werden: „Bei jeglicher medizinischer Intervention müsste geprüft werden, welche Erwartungen der Patient an den Behandlungsverlauf, mögliche Verbesserungen und mögliche Nebenwirkungen hat. In der Medizin müsste man sich viel mehr Gedanken machen, die Erwartungen von Patienten mit den Möglichkeiten der Medizin in Einklang zu bringen, da ansonsten hochwirksame Interventionen gegebenenfalls ihre Möglichkeiten vollständig verlieren.“

Jedoch appellieren die Professoren Schedlowski und Rief, die ethischen Prinzipien im Umgang mit Placebos zu berücksichtigen. „Nur die Erwartungshaltung beim Patienten zu induzieren, aber ausschließlich ein Placebo zu verabreichen, verbietet sich allein aus ethischen Gründen, weil es nicht mit der Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber seinen Patienten vereinbar ist“, mahnt Professor Schedlowski.





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