FORUM PSYCHOSOMATIKZeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 21. Jahrgang, 2. Halbjahr 2011 |
Caroline Walter und Alexander Kobylinski, sonst für das ARD-Magazin „Kontraste“ aktiv, haben bei ihren Recherchen für dieses Buch die verschiedenen Strategien von Pharmafirmen aufgedeckt, um Patientinnen und Patienten zu manipulieren. Sie zeigen auf, wie PRAgenturen eingeschaltet und GesundheitsexpertInnen (möglichst MedizinprofessorInnen) zur Reklame für ein bestimmtes Medikament gewonnen werden, um über die Medien für ein Produkt zu werben. Über Zeitschriftenartikel, Telefonaktionen oder auf Internetplattformen werden vermeintlich neutral recherchierte Informationen gestreut. Für die Adressaten der Botschaften bleiben die steuernden Pharmakonzerne im Hintergrund meist unsichtbar. Und ganz häufig handelt es sich bei den beworbenen Medikamenten um Mittel, die bei MS eingesetzt werden, denn damit lässt sich viel Geld verdienen. Letzteres gilt auch für Arzneien gegen Demenz, Depressionen oder Krebs, bei denen vergleichbare Werbemaßnahmen angewandt werden.
Das Autorenpaar entdeckt verschiedene Strategien der Pharmakonzerne, zum Beispiel:
In mehreren Zeitschriften wird für einen MS-Ratgeber geworben, der beim MS Service-Center in Berlin zu bestellen ist. Dahinter verbergen sich eine Pharmaagentur und der Hersteller eines MSMedikaments.
Verschiedene Internet-Portale wie www.aktiv-mit-MS.de oder www.ms-life.de oder www.lebenmit- ms.de oder www.ms-gateway. de werden von Pharmafirmen eingerichtet, betrieben und gesteuert. Das geht nach den Recherchen von Walter/Kobylinski sogar so weit, dass MitarbeiterInnen von Pharmafirmen sich gezielt in die Diskussionsforen einmischen, sich als MS-Betroffene ausgeben und beispielsweise Nebenwirkungen herunterspielen oder zur Therapietreue mahnen.
Pharmafirmen finanzieren Informationsveranstaltungen für MS-Betroffene, auf denen nicht nur allgemein informiert, sondern durch bezahlte Vorträge von ÄrztInnen gezielt für ein bestimmtes Medikament geworben wird.
Die „MS-Schwestern“, die MS-Betroffenen dabei unterstützen, sich ihre Medikamente per Spritze zu verabreichen, werden von den Pharmakonzernen finanziert. Die Betroffenen haben eine persönliche Ansprechpartnerin, die sie verlieren, wenn sie das Medikament absetzen. Die Schwestern wiederum ermutigen die Betroffenen zur Therapietreue und verharmlosen auftretende Nebenwirkungen.
Das Autorenpaar hat auch den Leiter des Instituts für Pharmakologie in Bremen, Prof. Bernd Mühlbauer, zum Nutzen von MS-Medikamenten befragt. Es gäbe bislang weltweit keines, das das Fortschreiten der Krankheit „in relevantem Ausmaß hinauszögern“ könne, lautet die ernüchternde Antwort.
Wer das Buch gelesen hat, wird vermutlich lieber gar keine Medikamente mehr nehmen wollen oder zumindest den eigenen Arzneikonsum kritisch hinterfragen. Denn die AutorInnen decken weitere Skandale auf, die allerdings nichts mit MS zu tun haben: Medikamente werden von ihren Herstellern trotz erheblicher Nebenwirkungen wie steigendem Krebsrisiko oder erhöhter Selbstmordrate weiter vermarktet, ÄrztInnen bestochen, negative Studiendaten nicht veröffentlicht.
Da fast alle Studien von Pharmaunternehmen in Auftrag gegeben und finanziert werden, ist es schwierig, neutrale Informationen zu erhalten. Die AutorInnen des Buches raten, auf alle Fälle den Absender einer Botschaft zu identifizieren und beispielsweise im Internet ins Impressum zu schauen. Sie haben außerdem Tipps für weitgehend unabhängige Informationen bereit (siehe unten).
Ein absolut empfehlenswertes Buch (vgl. dazu auch die nachfolgende Leseprobe), vor allem für Menschen, die von einer chronischen Krankheit betroffen sind!
Si
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