FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 1. Halbjahr 2010

Das war jetzt die somatopsychische Betrachtungsrichtung. Anders herum: psychosomatisch. Was gibt es an Evidenzen dafür, dass psychische Faktoren in irgendeiner Form den Verlauf der Erkrankung beeinflussen? Hier weiß man mittlerweile relativ gesichert mit einer Meta-Analyse, dass belastende Lebensereignisse bei der Auslösung von Schüben eine Rolle spielen. Wohlgemerkt, nicht bei der Entstehung der Erkrankung oder bei der Gesamtprognose, aber bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt Schübe der Erkrankung auftreten. Es ist also eindeutig, dass es einen Zusammenhang zwischen belastenden Lebensereignissen und Schubauslösung gibt.

Es gab in den 50er Jahren eine Autorin, Paulley, die gesagt hat, wer an MS erkrankt, der hat eine prädisponierende Persönlichkeitsproblematik. Das ist eine ganz analoge Diskussion zur Krebspersönlichkeit und beides gilt nicht mehr. Das war vollkommen spekulativ und durch keine saubere Studie nachgewiesen, ist aber in den Köpfen mancher Psychotherapeuten immer noch drin. Darum ist es mir auch ein Anliegen, deutlich zu sagen, dass es dafür wirklich keine Grundlagen gibt.

Wozu Psychotherapie bei MS? Nicht jeder braucht das, aber sie ist sinnvoll, wenn jemand in seinem Anpassungsprozess Unterstützung brauchen kann oder bei der Verbesserung der Lebensqualität, oder wenn Symptome auftreten wie Depressionen. Sehr wichtig ist, uns klar zu machen, dass es nicht um die Behandlung angenommener pathogener Persönlichkeitsstörungen geht. Das ist wirklich praktisch relevant! In meiner Zeit in Heidelberg gab es Probleme in der Kommunikation mit niedergelassenen PsychoanalytikerInnen, die diese Theorie so prima fanden, dass sie daran mit den Patienten arbeiten wollten.

Jetzt zur Evidenzbasierung: Es gibt die Cochrane Collaboration, eine Organisation, die therapeutische Evidenzen der Medizin mit Reviews und Meta-Analysen untersucht und es gibt auch zum Thema „Psychologische Intervention bei MS“ ein Review. In einer Übersicht über 16 Studien1 wurde festgestellt, dass kognitive Verhaltenstherapie bei der Behandlung von Depressionen zur Unterstützung des Coping bei Patienten mit MS geeignet ist.

Es gibt noch ein anderes Cochrane- Review zur Exercise-Therapie. Das ist nicht im engeren Sinne Psychotherapie, sondern eher eine krankengymnastische Therapie. Sie ist geeignet zur Verbesserung der Muskelkraft, hat einen geringen Effekt auf die Stimmung, aber ist nicht geeignet, die Fatigue, die Erschöpfung, im Erleben zu reduzieren.

Eine ganz interessante Studie ist vor ein paar Jahren sehr hochrangig im „Archives of General Psychology“ veröffentlicht worden: eine per Telefon 10 durchgeführte kognitive Verhaltenstherapie ist ebenso wirksam bei Depressionen bei Patienten mit MS wie einfacher „emotional support“, der keine spezifische Psychotherapie war. Das eine ist etwas wirksamer als das andere, zumindest im ersten Jahr nach der Behandlung. Und dann gibt es eine Studie, die sich im Sinne einer randomisiert kontrollierten Studie auch das Thema der Fatigue bei MS angesehen hat: Es wurde gezeigt, dass sowohl kognitive Verhaltenstherapie wie Entspannungstherapie die Erschöpfungssymptome bei MS reduzieren kann.

Damit komme ich auch schon zum Fazit: Man kann also sagen, dass Psychotherapie – auf einer nicht sehr großen, aber doch immerhin ordentlichen wissenschaftlichen Basis – zur Unterstützung des Coping, zur Behandlung der Depressivität und der Fatigue wirksam ist. Ich finde es am sinnvoll - sten, es unter diesem Aspekt ganz grundsätzlich zu sehen: der Behandlung einer Körper-Selbst-Störung. Psychotherapie sollte nicht mit dem Ziel durchgeführt werden, den Verlauf der neurologischen Grunderkrankung zu beeinflussen.

Es ist wichtig, rechtzeitig eine Indikation zu stellen und das erfordert, dass die Neurologen mit den Patienten so kommunizieren, dass psychische Belastungen überhaupt erkennbar werden können. Das ist nicht selbstverständlich, wenn es immer um die Frage der nächsten immunmodulatorischen Therapie und Ähnliches geht. Es muss darum gehen, dass nicht von vornherein körperliche Beschwerden automatisch ursächlich der Grunderkrankung zugeschrieben werden. Wichtig ist, als Neurologe zu sehen, dass es auch von Seiten des Patienten Ängste gibt, sich diesen Aspekten der Erkrankung zuzuwenden und dass es manchmal Motivationsarbeit braucht, bis ein Patient bereit ist, sich auch mit dieser Seite der Erkrankung zu beschäftigen. Bei all dem ist eine gute Kooperation von Neurologen, Psychotherapeuten und wer sonst noch im Umfeld aktiv ist, wichtig! Das alte Modell „der Psychotherapeut sitzt in seinem Kämmerlein und spricht mit dem Patienten und nie (Hv. PH) mit irgend jemand anderem“ ist bei solchen Erkrankungen sicherlich nicht das hilfreichste Modell, sondern dass die Behandler beispielsweise miteinander telefonieren ist sicher von Vorteil. Vielen Dank!


1 Thomas PW, Thomas S, Hillier C, Galvin K, Baker R. Psychological interventions for multiple sclerosis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 1



* Die Mitschrift wurde bearbeitet von H.- Günter Heiden





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