FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 20. Jahrgang, 1. Halbjahr 2010

Symposium

Psychotherapie, Empowerment, Identität

Im Rahmen des „Deutschen Kongresses für Psychosomatik und Psychotherapie“ veranstaltete die Stiftung LEBENSNERV am 17. März 2010 ein Satellitensymposium in Berlin. Ziel war es, die aktuellen Diskussionsverläufe in der psychosomatisch orientierten Sichtweise von Multipler Sklerose herauszuarbeiten. Die ReferentInnen beim gut besuchten Symposium waren Prof. Dr. Peter Henningsen, Prof Dr. Gabriele Lucius-Hoene und Dr. Sascha Köpke. Nachstehend veröffentlichen wir die von den AutorInnen vorab erstellten Kurzfassungen der drei Vorträge sowie die Mitschriften der Vorträge von Henningsen und Lucius-Hoene. Aus Platzgründen erfolgt die Wiedergabe des Vortrags von Köpke in der Ausgabe 2/2010.Wir haben jedoch bereits jetzt auf unserer Homepage www.lebensnerv.de eine Zusammenfassung aller drei Vorträge inklusive der optischen Präsentationen als PDF-Datei zusammengefasst.



Abstracts

Prof. Dr. Peter Henningsen: Psychotherapie bei Multipler Sklerose
(Klinikum rechts der Isar, Institut u. Poliklinik für Psychosomatische Medizin, Psychothera pie u. Med. Psychologie, München)

In dem Beitrag sollen unterschiedliche Ansätze und Befunde zur Psychotherapie bei Multipler Sklerose vorgestellt werden. Zu un terscheiden sind hier Ansätze zur Verbesserung der Krankheits bewältigung und Ansätze zur Verbesserung begleitender psycho somatischer Symptome wie Depressivität oder Fatigue. Gewarnt wird davor, die Illusion des Patienten zu nähren, mittels Psycho therapie psychische Ursachen der Erkrankung selbst beseitigen und damit den neurologischen Verlauf positiv gestalten zu können.

Dr. Sascha Köpke: Selbst-Bemächtigung, Edukation und Empowerment beiMul tipler Sklerose (MS)UniversitätHamburg,MIN-Fakultät,Hamburg

Hintergrund: Menschen mit MS sind mit einer Vielzahl von Un gewissheiten bezüglich Diagnose, Prognose sowie krankheitsspezifi scher und symptomatischer Therapien konfrontiert. Angesichts dieser Ungewissheit erscheint ein Empowerment der Patienten mit dem Ziel der selbstbestimmten Lebens- und Krankheitsbewältigung unumgänglich.

Methoden: Es wurden eine Reihe von Vorarbeiten zu Präferenzen und Informationsbedürfnissen von Menschen mit MS erfragt. In randomisiert- kontrollierten Studien wurden zwei Patienteninfor mationsprogramme auf Ihre Wirksamkeit überprüft. Das Programm zur Immuntherapie bestand aus einer 100-seitigen evidenz basierten (= auf Beweismaterial gestützt, d. Red) Informationsbroschüre sowie einer 2-seitigen Entscheidungshilfe. Das Programm zum Schubmanagement beinhaltete ne ben einer 30-seitigen Broschüre, eine 4-stündige Schulung, in der Menschen mit MS umfassend über Schübe und Schubtherapien in formiert wurden. Ein wichtiger Teil der Schulung war die Möglich keit zur Reflexion und Diskussion. Darüber hinaus erhielten die Teilnehmer die Möglichkeit, ein Rezept für Kortisontabletten zu er halten, um bei Bedarf eine orale Kortisontherapie selbstbestimmt beginnen zu können.

Ergebnisse: Menschen mit MS wollen in medizinische Entschei dungen einbezogen werden. Unverzerrte, verständliche Informationen werden nicht als verängstigend empfunden. Die Studie zur Immuntherapie führte zu einer kurzfris tigen kritischen Haltung gegenüber einer Immuntherapie, dieses führte jedoch nicht zu autonomeren oder veränderten Behand lungsentscheidungen. Im Gegensatz dazu führte das Schulungsprogramm zum Schubmanagement zu autonomeren Therapieent scheidungen sowie zu einer deutlichen Veränderung der Wahl der Therapieoption im Falle eines Schubes. Darüber hinaus berichteten Teilnehmer in der Schulungsgruppe einen subjektiv besseren Krankheitsverlauf sowie deutlich weniger Schübe innerhalb von 2 Jahren. In einer Folgestudie konnte gezeigt werden, dass das Pro gramm erfolgreich in die Versorgung implementierbar ist.

Diskussion: Die Möglichkeit für Betroffene, Inhalte und Konse quenzen einer unverzerrten Information gemeinsam zu diskutieren und reflektieren sowie die Ermöglichung von Selbstmanagementoptionen hat deutliche positive Auswirkungen. Solche Programme sollten Standardversorgung für Menschen mit MS sein. Zurzeit evaluieren wir ein Schulungsprogramm für MS-Frühbetroffene mit den Schwerpunkten Diagnose, Prognose und Frühtherapie in einer multizentrischen Studie mit 190 Teilnehmern. Ein erweitertes Pro gramm zur Immuntherapie mit zwei 2- und 4-stündigen Schulungsteilen zusätzlich zur überarbeiteten Broschüre wird ab Anfang 2010 in Zusammenarbeit mit Rehakliniken innerhalb einer randomisiert-kontrollierten Studie untersucht

Prof.Dr.Gabriele Lucius-Hoene:Narrative Identität undMultiple Sklerose
(Institut für Psychologie, Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg)
Multiple Sklerose konfrontiert die betroffenen Menschen in kaum vorhersehbarer Weise mit Krankheitsausbrüchen, die häufig Ver änderungen und Neuanpassungen in der Lebensführung erzwin gen. Lebensziele müssen revidiert, Zeitpläne angepasst, Gewohn heiten müssen verändert werden, damit im Leben mit der Erkran kung die Möglichkeiten und Handlungsspielräume ausgeschöpft werden können. Die Veränderungen, Brüche und Neuorientierun gen schlagen sich auch auf der Ebene der Identität der Betroffenen nieder. Hier sind es vor allem die Herstellung und Wahrung von Kontinuität der Selbsterfahrung und der Aushandlung der sozialen Identität, die immer wieder geleistet werden müssen. Eine wichtige Rolle bei dieser Identitätsarbeit spielen dabei die narrativen Verar beitungsmöglichkeiten des Erlebten: die Arbeit an der persönlichen Biographie und die alltägliche Identitätsarbeit in der Auseinander setzung und Spiegelung mit den Menschen des Umfeldes vollzieht sich in hohem Maß in narrativen Strukturen. Der Vortrag stellt dar, wie die Narrativierung der Krankheitserfahrungen bei der An passung und Wahrung der eigenen Identität hilft. Anhand von Gesprächen und Interviews mit Multiple-Skerose-Kranken wird illus triert, wie narrative Sinnstiftung und Bewältigung 6 stattfinden kann.




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