Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 1/09 |
Es wird nun um die Ergebnisse gehen, die in Bezug auf die beiden Forschungsfragestellungen erzielt worden sind. Die erste Fragestellung bezieht sich darauf, ob sich als Effekt des Trainings eine höhere Kohärenz, gemessen durch den SOC-29-Fragebogen, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe feststellen lässt. Die zweite Fragestellung bezieht sich darauf, ob TeilnehmerInnen mit einem hohen SOC-Ausgangswert mehr vom Training profitiert haben als TeilnehmerInnen mit einem niedrigen SOC-Ausgangswert.
a) Erhöhte Kohärenz durch ein Training?In der nachstehenden Tabelle wird zusammengefasst dargestellt, wie sich die Trainingsgruppe bei einer Betrachtung des durchschnittlichen Gesamt-SOC im Vergleich zur Kontrollgruppe mit ihren SOCWerten verändert hat. Die Veränderung ist in absoluten Punktwerten sowie in einem prozentualen Wert angegeben, wobei der „alte“ SOC-Wert aus dem März 2007 als 100 Prozent definiert wurde. Es kann also festgehalten werden, dass nach dem Empowerment- Training eine deutliche Steigerung des SOC-Wertes um (durchschnittlich) 20,59 Punkte bei den an diesem Training partizipierenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu beobachten ist. Der SOC-Wert der Kontrollgruppe hat sich demgegenüber lediglich um 6,44 Punkte erhöht. Prozentual lässt sich eine Steigerung des Gesamt- SOC bei der Trainingsgruppe um durchschnittlich fast 18 Prozent gegenüber einer nur leichten Erhöhung von rund 5 Prozent bei der Kontrollgruppe konstatieren. Es deutet also viel darauf hin, dass durch diese gezielte Intervention des „Empowerment-Trainings“ das Kohärenzgefühl deutlich (im Sinne einer „einschneidenden Veränderung“ nach Antonovsky) gestärkt werden konnte. Damit wird die erste Forschungshypothese bestätigt. Über die Nachhaltigkeit der erzielten Veränderung können jedoch keine Aussagen getroffen werden. Dazu müsste die Trainingsgruppe weiterhin beobachtet und untersucht werden.
Die durchschnittliche Veränderung bei der Kontrollgruppe ist (rein rechnerisch gesehen) zwar auch leicht positiv, eine solche positive Veränderung tritt jedoch nicht bei allen Teilnehmenden auf. Dieser Durchschnittswert ist dadurch entstanden, dass etwa die eine Hälfte der Kontrollgruppe bei der Zweit-Messung (11/2007) leicht niedrigere SOC-Werte aufwies, die andere Hälfte leicht höhere Werte. Es bleibt jedoch auffällig, dass die Kontrollgruppe keinen so deutlichen und umfassenden Sprung wie die Trainingsgruppe machen konnte.
Betrachten wir die Ergebnisse der Trainingsgruppe nun noch etwas detaillierter. In der nachstehenden Tabelle sind alle Personen der Trainingsgruppe mit ihrem „alten“ (März 2007) und ihrem „neuen“ SOC-Wert (November 2007) aufgeführt. Die Veränderung ist auch wieder jeweils in absoluten Punktwerten sowie in einem prozentualen Wert angegeben.
Bei dieser Einzelbetrachtung fällt auf, dass es bei allen TeilnehmerInnen bis auf T10 deutliche Zuwächse gegeben hat. Die deutliche Veränderung von minus 21 bei T 10 erfolgte jedoch von einem SOC-Ausgangswert von 147 (der deutsche Durchschnitt liegt bei 145,66) und einem vergleichsweise hohem Wert innerhalb der Trainingsgruppe auf 126. Dies könnte nun entweder auf einen Messfehler oder aber auf eine veränderte Betrachtungsweise der eigenen Ressourcen im Rahmen des Trainings zurückzuführen sein. Ferner ist ein sehr niedriger SOC-Ausgangswert von 80 bei T1 auffällig. Diese beiden „Ausreißer“ nach oben und nach unten werden in Tabelle 3 berücksichtigt, indem einmal mit diesen beiden Werten und einmal ohne gerechnet wird.
b) Profitieren TN mit hohem SOC mehr?Wenden wir uns nun der zweiten Fragestellung zu. Dazu wurden zwei Gruppen gebildet – eine Gruppe mit einem Anfangs-SOC im oberen Messbereich (T10, T9, T2, T12, T6, T4) und eine Gruppe mit einem Anfangs-SOC im unteren Messbereich (T8, T11, T7, T5, T3, T1).Wie angekündigt, wurden hier die „Ausreißer“ einmal mit betrachtet (lfd. Nr.1–6 und 7–12) und einmal fortgelassen (lfd. Nr. 2–6 und 7–11). Die Veränderungen vom März 2007 bis zum November 2007 sind nachstehend für alle Teilnehmenden der Trainingsgruppe sowohl in absoluten Zahlen als auch in Prozentwerten ausgedrückt.
Aus dieser Tabelle ergibt sich die Erkenntnis, dass die TeilnehmerInnen mit einem Anfangs-SOC im oberen Messbereich eine durchschnittliche Steigerung im Bereich von ca. 10 beziehungsweise 16 Prozent aufweisen konnten, die TeilnehmerInnen mit einem Anfangs- SOC im unteren Messbereich jedoch eine durchschnittliche Steigerung von 26 beziehungsweise 27 Prozent. Daraus ist zu schließen, dass die zweite Forschungshypothese nicht bestätigt werden konnte. Es scheint eher so zu sein, dass TeilnehmerInnen mit einem niedrigen Anfangs-SOC mehr von einem Empowerment- Training profitieren und höhere Steigerungsraten erzielen können als TeilnehmerInnen mit einem bereits höheren Anfangs-SOC.
AusblickAls Ausblick auf die weitere Arbeit in diesem Bereich halte ich noch folgende Anmerkungen für wichtig. In Relation zur deutschen Normstichprobe fällt auf, dass sich der Durchschnitt der SOC-Werte der Trainingsgruppe (mit ca. 115 Punkten) auf einem deutlich unterhalb der Norm (Norm bei ca. 146 Punkten) liegenden Niveau bewegt und auch nach der deutlichen Steigerung um rund 20 Punkte zum Trainingsende immer noch gute 10 Punkte unter dieser Norm liegt. Vier TN (vgl. Tabelle 2) erzielten jedoch normgerechte oder sogar über der Norm liegende Ergebnisse. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass ein Empowerment- Training zwar gute Ergebnisse erzielen kann, jedoch weitere nachhaltig wirkende ressourcenunterstützende Maßnahmen bei Menschen mit MS sinnvoll und notwendig sind. Dies wird auch durch die Werte der Kontrollgruppe bestätigt, die beim Ausgangsniveau des SOC im Schnitt zwar 10 Punkte höher als die Trainingsgruppe liegt, aber mit rund 125 Punkten auch 20 Punkte hinter der Norm zurückbleibt und beim Endwert noch hinter der Trainingsgruppe verbleibt.
Folgerungen aus dieser Tatsache könnten zum einen sein, dass für möglichst viele Menschen mit Multipler Sklerose (eventuell auch für alle Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen) Empowerment- Trainings flächendeckend angeboten werden sollten. Zum anderen erscheint es sinnvoll, dass weitere und weitergehende Ressourcen verfügbar gemacht werden sollten, etwa das Angebot von leicht zugänglichen und finanzierbaren Interventionen wie etwa von Psychotherapie, begleitender Beratung, Unterstützung in Krisen, Entspannungsverfahren, etc. Diese Studie ist auf Grund der geringen Fallzahlen nicht repräsentativ, sie bietet dennoch erste Erkenntnisse über dieWirksamkeit von Empowermenttrainings, die in weiteren Forschungen vertieft werden sollten. Angesichts der positiven Ergebnisse der vorgelegten Pilotstudie ist es sinnvoll, die Forschungsanstrengungen in diesem Bereich der Gesundheitsforschung deutlich zu verstärken, konkret Wiederholungsuntersuchungen mit erweiterten „Fallzahlen“ und zusätzlichen Instrumentarien durchzuführen, sowie die eingangs genannten zusätzlichen „Wirkfaktoren“ zu erforschen. Mir ist bewusst, dass gerade letzterer Punkt nicht einfach zu realisieren ist, doch scheinen mir angesichts der Bedeutung des Empowerment- Konzeptes und des salutogenetischen Ansatzes für Gesundheitsförderung und Prävention solche Anstrengungen überaus lohnenswert und gewinnbringend – sowohl für die Betroffenen als auch für die gesamte Gesellschaft.
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