Stiftung LEBENSNERV, FORUM PSYCHOSOMATIK 2/05 |
Das Ergebnis der Auschreibung zum
Destruktivin – Preis
Auch wenn die Umstände
meines inneren Todes
unbedeutend sind für andere,
so bedeuten sie für mich
das Ende meines Seins.
Hilke Behr, Jury
In Heft 2/2004 haben wir erstmals den symbolischen „Destruktivin-Preis“ ausgeschrieben. Vor gut
einem Jahr lautete der Ausschreibungstext wie folgt:
„Mit 40 sitzen Sie im Rollstuhl. – MS ohne kognitive Einschränkungen gibt es nicht. – MS dauert 20
Jahre. Solche Sätze, die ÄrztInnen zu Betroffenen gesagt haben oder in Ratgebern zu lesen sind, haben
wir „Killersätze“ genannt. Fast jedeR MS-Betroffene ist schon mit Killersätzen konfrontiert worden.
Solch ein Satz geht einem nicht mehr aus dem Kopf, nagt am Selbstwertgefühl, an der gesamten
Identität und kann im schlimmsten Fall eine negative Eigendynamik entwickeln. Bei vielen MedizinerInnen
scheint es sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass Worte wirken. Vielmehr ist bei vielen
ÄrztInnen ein unbedachter Umgang mit Negativprognosen festzustellen.
Über die Folgen für die Betroffenen machen sich die jeweiligen UrheberInnen offensichtlich keine Gedanken. Unser Wunsch ist es, die Professionellen im Medizinsystem für ihre Worte und deren Wirkung zu sensibilisieren.
Gleichzeitig möchten wir den Betroffenen verdeutlichen, dass sie nicht alleine sind, dass sie nicht
alles glauben sollen und dass die UrheberInnen solcher Prognosen allein aufgrund ihres mangelnden
Einfühlungsvermögens im Unrecht sind.“
Nach unserem Aufruf haben wir in kürzester Zeit 39 Killersätze erhalten, die hauptsächlich von Professionellen,
aber auch von Angehörigen und FreundInnen stammten und waren erschüttert - zeigte uns das Ergebnis doch, wie notwendig
diese Initiative war. Nun hat die Jury, bestehend aus den zehn Teilnehmerinnen der Peer-
Counseling-Weiterbildung der Stiftung LEBENSNERV, entschieden, welche der 39 Sätze sie für die verheerendsten
hält. Ein Jurymitglied schrieb begleitend: „Hier kommen nun endlich die für mich schlimmsten
Killersätze mit Rangfolge. Es hat so lange gedauert, da ich mich mit der Auswahl wirklich schwer
getan habe. Ich denke, die Tragweite der Sätze für den/die EinzelneN hängt wirklich sehr von der individuellen
Persönlichkeitsstruktur ab. Was in mir vorgeht, beschreibt der beiliegende kleine Text wohl
am besten.“ Wir haben das kleine Gedicht dieser Auswertung vorangestellt,
Sie können es oben auf der linken Seite lesen.
Und hier kommen sie nun, die fünf ersten Plätze des Destruktivin-Preises:
Platz 1
„Wenn Sie Mitoxandron nicht nehmen, sitzen Sie nächstes Jahr im Rollstuhl!“
Neurologe 2003 in der Uniklinik zu einer 28jähriger MS-Betroffenen. Sie
nahm seitdem kein Medikament mehr, kaufte sich ein Pferd und sitzt nicht im Rollstuhl.
Platz 2
„Wenn Sie den Tee nicht mehr trinken, werden Sie innerhalb der nächsten Wochen im Rollstuhl
landen oder einen künstlichen Darmausgang bekommen!“
Ärztin für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) 1998, nachdem ihr die MS-betroffene Person gesagt hatte,
dass sie den für sie zusammengestellten chinesischen Tee nicht mehr trinken wolle. Beide Prophezeiungen sind
nicht eingetroffen.
Platz 3
„Ein sich zersetzendes Gehirn?
Da würde ich mich ja sofort umbringen!“
Privatperson
Platz 4
„Eins kann ich Ihnen sagen: Kinderkriegen ist jetzt nicht mehr!“
Assistenzärztin 1995 in einer Uni-Klinik zu einer MS-Betroffenen, unmittelbar
nach der MS-Diagnose
Platz 5
„Das wird sowieso immer schlimmer, reichen Sie die Rente ein!“
Krankenkasse
und mit der gleichen Punktzahl
„Ich weiß, was für Sie gut ist!“
Neurologe
Soweit, so schlecht. Da der Destruktivin-Preis eine symbolische
Auszeichnung ist, werden wir keine konkreten Personen benennen.
Es geht uns vielmehr darum, auf ein vielfach vernachlässigtes
Thema aufmerksam zu machen und wir werden dazu weitere
Öffentlichkeitsarbeit durchführen. Außerdem widmen wir uns in dieser
Ausgabe ausführlich dem Thema der Kommunikation zwischen
Professionellen und Menschen mit MS. Wir hoffen, damit
dazu beizutragen, dass es in Zukunft immer weniger „Killersätze“
gibt und die positive Wirkung des Medikamentes „Heilendes Wort"
stärker wahrgenommen wird
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