Zeitschrift für Psychosomatische
MS-Forschung, 11. Jahrgang, 2. Halbjahr 2002
Planungs- und Vorbereitungsphase
Diese Ausgangsüberlegungen führten zu der Idee, ein Gruppenangebot für PatientInnen mit MS zu konzipieren. Ziel sollte eine psychologische Unterstützung durch den Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen unter therapeutischer Leitung sowie die themenzentrierte Bearbeitung verschiedener krankheits- und gesundheitsrelevanter Themen sein. Gleichzeitig sollte der Nutzen eines solchen Therapieangebotes für die Betroffenen wissenschaftlich ausgewertet werden. Nach Ausarbeitung eines Konzeptes konnten als Geldgeber die Firmen Schering und Serono geworben werden, die beide jeweils ein Interferonpräparat herstellen, und die Gelder für die Durchführung der Gruppen von 2000 bis 2002 zur Verfügung stellten.
Mit der Öffentlichkeitsarbeit wurde im August 2000 begonnen. Nach Kontakt mit den Selbsthilfegruppen der Region, der Stiftung LEBENSNERV, den in der MS Sprechstunde tätigen ÄrztInnen der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Aachen und den niedergelassenen KollegInnen der Neurologie in der Region Aachen fand Mitte September ein ca. zweistündiger Informationsabend im Aachener Universitätsklinikum statt. Durch diese Maßnahmen wurden die TeilnehmerInnen (Betroffene und Angehörige) für die Studie gewonnen.
Konzept
Die MS-betroffenen TeilnehmerInnen mussten zur Teilnahme folgende Eingangskriterien erfüllen: Es musste eine klinisch gesicherte Multiple Sklerose vorliegen, die seit mindestens einem Jahr bekannt war und schubförmig verlief. Die TeilnehmerInnen mussten im Alter zwischen 20 und 60 Jahren und gehfähig sein. Außerdem mussten sie die Deutsche Sprache sicher beherrschen und sich einer Interferontherapie unterziehen.
Es gab insgesamt drei Gruppen, davon zwei Gruppen mit therapeutischer Betreuung und eine Kontrollgruppe ohne Betreuung mit PatientInnen in ähnlichem Krankheitsstadium, ebenfalls unter Interferontherapie. In den beiden betreuten Gruppen (G1 = ohne Familiengruppensitzungen; G2 = mit Familiengruppensitzungen) waren je acht bis zehn PatientInnen. Sie trafen sich als ambulante geschlossene Gruppen einmal monatlich für 90 Minuten und wurden von zwei Ärztinnen mit neurologischer, psychotherapeutischer und familientherapeutischer Qualifikation betreut. Für beide Gruppen gab es zwölf Sitzungen, bei der Gruppe G2 fanden sechs davon mit Angehörigen statt.
Inhalte:
Befragung und gegenseitiger
Austausch über:
- Krankheitsschwere und -dauer
- Ausmaß der bio-psycho-sozialen
Beeinträchtigungen und
Wechselwirkungen
- Grad der sozialen Unterstützung
und Integration
- Akzeptanz des bisherigen
Behandlungsangebotes
- Allgemeines Gesundheits- und
Krankheitsverhalten
- Ermittlung der Krankheitskonzepte
Informationsvermittlung und
Aufklärung über:
a) krankheitsbezogene Sachverhalte
und
b) psychosomatische Wechselwirkungen
unter Nutzung von Printmedien
und Einbeziehung von Videomaterial
Programme und Verfahren
- Training der Patientencompliance
(Bereitschaft zur Mitwirkung,
d. Red.)
- Steigerung der Eigenkompetenz
und Selbstwirksamkeit
- Training von Bewältigungsstrategien
- Stress- und Konfliktmanagement
mittels themenzentrierter
Gruppengespräche, verhaltensmedizinischer
Trainingsprogramme
und Diskussionsgruppen
für Familien
Ziele:
Verbesserung von Krankheitsverhalten
und -bewältigung
Erhöhung der Behandlungsakzeptanz
und Patientencompliance
(Bereitschaft zur
Mitwirkung, d. Red.)
Unterstützung bei Alltagsbewältigung
und Stressmanagement
Reduzieren der krankheitsbezogenen
Ängste
Erhöhung der Lebensqualität
Mit psychologischen Fragebögen
und neurologischen Untersuchungen
wurden die Ergebnisse
zu Beginn, nach sechs Monaten
und am Ende der Gruppentherapie
gemessen.
Durchführung
Gruppe 1, eine reine Patientinnengruppe, bestand aus neun Teilnehmerinnen im Alter zwischen 30 und 65 Jahren, Gruppe 2 aus acht PatientInnen (sechs weiblich, zwei männlich) im Alter zwischen 25 und 54 Jahren und insgesamt 17 Angehörigen (sechs Ehemänner, drei Mütter, vier Geschwister, vier Kinder). Eine unbehandelte Kontrollgruppe (Warteliste) (im folgenden Gruppe 3 - G3 - genannt) bestand aus neun Patientinnen. Es wurden zwölf Sitzungen der Gruppe 1 und zwölf der Gruppe 2 durchgeführt. Letztere enthielt die 6 Familienabende.
Die Ergebnisse der neurologischen Eingangsuntersuchung wurden gemäß des EDSS (Expanded Disability Status Scale) auf Grundlageder Disability Status Scale nach Kurztke eingestuft und sind in ihrer Verteilung innerhalb der jeweiligen Gruppen in der folgenden Tabelle aufgelistet. Der Wert 0 steht hierbei für einen völlig normalen neurologischen Zustand. Eine schrittweise Verschlechterung bis 10, bedingt durch Defizite in den verschiedenen neurologischen Funktionen, wie zum Beispiel der Fortbewegung, dem Sehen, der Kraft oder der Sensibilität, kann mit dem EDSS eingestuft werden. Selbständige Fortbewegung mit einer Gehhilfe oder einem Rollstuhl liegt bis zu einem Wert von 7,5 vor.