Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/00

Zu psychosomatischen Aspekten der Multiplen Sklerose

Auszüge aus der Arbeit von Dr. Eckhard Danegger, bearbeitet von der Redaktion FORUM PSYCHOSOMATIK - 2. Preisverleihung

Teil 1 von 2 Teilen

Übersicht

Teil 1 Zur Methodik
Aus der Zusammenfassung
Teil 2 (Fortsetzung)
Anmerkung

 


Zur Methodik

An der Studie nahm ein ausgewähltes Kollektiv von Patienten (insgesamt 69, d.Red.) teil, welche im Zeitraum von Februar bis Oktober 1994 im Neuro-orthopädischen Reha-Zentrum Bad Orb im Rahmen eines Heilverfahrens oder einer Anschlußheilbehandlung (nach einem Schub) behandelt wurden. In einem ersten Kontaktgespräch erhielten alle Patienten eine kurze Einführung in die Thematik und Fragestellung der Untersuchung. Neben der Ausgabe von diversen Fragebögen erfolgte später ein ausführliches biographisches Interview, in welchem, ausgehend von der Krankheitsentwicklung, weitere Aspekte thematisiert wurden, die dem Erfassen der aktuellen psychosozialen Situation, belastender Lebensereignisse und der psychosozialen Entwicklung in der Kindheit dienten. Die Patienten wurden in offener Form nach Kindheitserinnerungen, ihrem Verhältnis zu ihren Eltern, Geschwistern und weiteren wichtigen Bezugspersonen befragt. Es wurden die schulische und berufliche Entwicklung, sowie die aktuelle berufliche und familiäre/partnerschaftliche Situation erfragt …

Aus der Zusammenfassung

Für eine relative Mitbeteiligung psychischer Faktoren in der Ätiopathogenese (Ursache und Entstehung der Krankheit, d.Red.) als bedeutsam werden „belastende Lebensereignisse” angesehen. Deren Bestehen wurde untersucht und mit den dazu vorliegenden Ergebnissen aus anderen Studien, vor allem den Arbeiten von Grant et al., Mei-Tal et al. und Paulley verglichen. In der vorliegenden Studie wurden die Ergebnisse der kontrollierten Studie von Grant bestätigt, der bei 77% seiner „Fälle” vor Ausbruch der Erkrankung schwere Belastungsereignisse fand. In dem untersuchten Kollektiv fanden sich bei 80% ebenfalls vor der Erstmanifestation schwere Belastungen, wobei sich als häufigste Belastung „erhöhte Leistungsanforderungen” (30/69) fanden, gefolgt von „Rivalitäts- und Autoritätskonflikten” (15/69), „Situationen verdichteter menschlicher Beziehungen” (15/69), einem ungelösten „Autonomie-Abhängigkeitskonflikt” (14/69) und „Trennungs- und Verlustereignissen” (13/69). Auch der „Verlust körperlicher Integrität” war eine lediglich bei Frauen mehrfach (7/50) vorausgegangene Art psychischer Belastung. Diese Befunde stimmen mit anderen Studien (z.B. Schepank) überein, in denen vor Ausbruch psychosomatischer Erkrankungen ebenfalls vermehrt erhöhte Leistungsanforderungen als häufigste Life-Events gefunden wurden. Aus den Ergebnissen kannn geschlossen werden, dass psychische Auffälligkeiten bei MS-Patienten nicht nur als Folge hirnorganischer Veränderungen oder nur als psychoreaktive Phänomene auf den Ausbruch der Erkrankung gelten können, sondern dass ebenso bestimmte psychische Konflikte und deren inadäquate Lösung zu einer Erkrankung an Multipler Sklerose disponieren. In Anbetracht der zu psychologischen Fragen bei MS-Betroffenen vorliegenden deutschsprachigen Literatur, genannt seien hier die Werke von Dünkel (1990), Schmidt (1992), Bauer/Kesselring (1995) drängt sich die Frage auf, ob die genannten Autoren(teams) in ihren Erwägungen und Beschreibungen sich auch für die psychosoziale Anamnese vor Ausbruch der MS interessiert haben. Minden (1992) weist in ihrer Arbeit beispielsweise auf das Thema “Autonomie” in einer diskreten Weise hin und schreibt: “Most troubled are people who have not already resolved these developmental issues, or have done so incompletely”.(„Menschen, die solche entwicklungsbedingten Probleme noch nicht oder nur unvollständig geklärt haben, sind in besonderem Maße betroffen“; d. Red.) Schiffer (1987) hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass Patienten, die sich nicht um ihre Autonomie kümmerten, eine raschere Progredienz zeigten und außerdem psychische Probleme bereits vor Ausbruch der MS gezeigt hatten. Dem Literaturverzeichnis obengenannter deutschsprachiger Autoren nach zu schließen, haben sie die Arbeiten dieser amerikanischen Autoren nicht zur Kenntnis genommen.

In dem Absatz über biographische Risikofaktoren für das Entstehen der MS als einer teilweise psychogenen Erkrankung wurde auf die methodischen Probleme hingewiesen, die sich aus der Dissimulations (bewusste Verheimlichung von Krankheit, d. Red.) -Neigung eines großen Anteils der MS-Patienten ergeben.

Trotz eingeschränkter Beurteilbarkeit mancher Angaben fällt die Häufung bestimmter Risikofaktoren auf.

So waren viele der MS-Betroffenen (30%) nur mit einem Elternteil aufgewachsen, häufig kamen schwere körperliche oder psychische Erkrankungen bei einem Elternteil vor (je 21%), bei vielen bestanden ungünstige sozio-ökonomische Verhältnisse in der frühen Kindheit (34%) und ein relativ großer Teil der Betroffenen (23%) war häufig körperlich misshandelt worden.

Der auffälligste Befund in der Auswertung der Selbsteinschätzung mittels dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) war der relativ große Anteil (>30%) jener im untersuchten Kollektiv, die in der Skala „Offenheit” niedrige Werte erzielten. Wie auch in anderen Untersuchungen beschrieben, zeigt diese Gruppe eine ausgeprägte Dissimulationstendenz, die sich auf die meisten anderen FPI-Skalen auswirkt. Auch das mittels STAI (ein standardisierter Fragebogen, d.Red.) gemessene Ausmaß von Angst unterschied sich signifikant in den Gruppen der „Offenen” und der „Verschlossenen” MS-Patienten. Dieser Befund ist als (relativ) typisches Phänomen bei MS-Patienten noch nicht beschrieben worden. Sollten sich entsprechende Phänomene in weiteren Untersuchungen bestätigen, müssten alle Fragebogen-Untersuchungen mit MS-Patienten Fragen enthalten, die Antwortverhalten im Sinne sozialer Erwünschtheit erfassen können. Möglicherweise werden auch alle MS-Betroffenen, die von diesem Phänomen wissen, in Zukunft entsprechende Fragen mit dem Bemühen um (sozial erwünschte) Dissimulationsvermeidung beantworten. Da sich bei einem Teil der MS-Betroffenen auch interaktionell die Neigung zur Konfliktvermeidung und zur intensiven sozialen Anpassung zeigt, kommt diesem Phänomen hinsichtlich der Arzt-Patient-Beziehung, der Konfliktlösungsstrategien der Betroffenen und ihrer Stressverarbeitung große Bedeutung zu.

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