Stiftung LEBENSNERV,
FORUM PSYCHOSOMATIK 1/00

Teil 5 (letzter Teil): "Psychosomatische Behandlungsmethoden" von Reinhard Plassmann

3.3 Die Behandlungsebenen

Die Patienten sind in unterschiedlichem Ausmaß imstande, sich den Sinn ihres Körpergeschehens und ihrer psychischen Symptome wieder zu erschließen, also die eigene Krankengeschichte in die Geschichte ihrer Befühle und Beziehungen zu umschreiben. Psychosomatische Patienten verstehen zunächst die Sprache ihrer Symptome nicht oder kaum und müssen es in der Therapie wieder lernen. In diesem Vorgang liegt bei aller methodischen Vielfalt das gemeinsame Element aller psychosomatischen Behandlungsverfahren, ausgenommen vielleicht die puristisch verstandene Verhaltenstherapie, die sich für den Sinn der Symptomatik nicht interessiert. Patientenzentrierte psychosomatische Medizin stellt sich also – ähnlich wie eine Schule – auf die jeweiligen Verstehensmöglichkeiten, auf das „psychische Alter“ ihrer Patienten ein.

Diese drei Behandlungsebenen bauen wie Stockwerke eines Hauses aufeinander auf. Ein Patient kann sie während eines Aufenthaltes oder in mehreren, über Jahre verteilten Aufenthalten durchlaufen; die Behandlungsebenen sind konstruiert als Ergänzungsreihe und orientieren sich an den Stadien der psychischen Entwicklung des Menschen. Am Anfang kommt der Wunscherfüllung eine zentrale Rolle zu, beispielsweise durch Verordnung von Bädern, Massagen und Freizeit. Dabei wird weniger reflektiert über das Wesen der Bedürfnisse des Patienten und die darin innewohnenden Konflikte, über Befriedigungen und Enttäuschungen in den Beziehungen. Die Behandlungsbeziehung enthält zunächst also Elemente eines frühen Eltern-Kind-Verhältnisses. Von einer Ebene zur nächsten nimmt die Wunscherfüllung ab und wird abgelöst von der Reflexion: Bild, Wort, verbale Psychotherapie; die Behandlungsbeziehung entspricht jetzt mehr dem Verhältnis zwischen Erwachsenen. An die Stelle der Pädagogik tritt die Selbsterfahrung.

Eine Darstellung psychosomatischer Behandlungsmethodik könnte in Kurzform also lauten: Die psychosomatische Medizin beschäftigt sich mit den Beziehungen des Menschen, die erst zu Konflikten und dann zu Symptomen werden. Die Arbeit der Therapeuten kann definiert werden als ein Beziehungsangebot an den Patienten, welches reflektiert und beispielsweise stationär klinisch organisiert wird und dadurch den Charakter einer Behandlung erhält.

Literatur

Beese, Friedrich:
Stationäre Psychotherapie.
Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich 1978.
Beese, Friedrich:
Was ist Psychotherapie?
Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich 1975.
Heigl, Franz; Neun Heinz :
Psychotherapie im Krankenhaus.
Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich 1981.
Mentzel, Gerhard:
Die Psychosomatische Kurklinik.
Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen und Zürich 1981.
Plassmann, Reinhard :
Indikation zur stationären Behandlung in der Psychosomatischen Klinik.
Vortrag auf der Medica, November 1985
Plassmann, Reinhard :
Die Technik der supportiven Psychotherapie.
Psycho 3/86, S. 178-184.

Anmerkung

(Dieser Aufsatz ist die – leicht gekürzte – Dokumentation eines Vortrags des Autors. Sie ist entnommen aus: Psychosomatik im Wandel, hrsg. von Reinhard Plassmann. Dokumentation der Symposien in der Burg-Klinik Stadtlengsfeld 1992 – Dr. Becker Klinikgesellschaft)

(Erstveröffentlichung in FORUM PSYCHOSOMATIK 1/95.

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